Die kleine Wilde

Wie sich die Baleareninsel Menorca langsam, aber sicher aus dem Schatten ihrer grossen Schwestern löst.

Menorca, Bolero

Sie ist die kleine Schwester, die niemand so richtig kennt, die Nachzüglerin, deren Existenz keiner auf dem Schirm hat. Sie ist diejenige, die unbeachtet von den Grossen ihren eigenen Weg geht. Sie ist authentisch, eigenwillig, wild. Und unfassbar schön.

Mit knapp 700 Quadratkilometern Fläche ist Menorca von überschaubarer Grösse. Der Norden ist rau und felsig und geprägt von einer schroffen, fast schon fjordartigen Felsküste. Im Süden wachsen die Bäume zahlreich und hoch, und das türkisblaue Wasser trifft auf feinen, weissen Sand. Dazwischen: geruhsame Beschaulichkeit. Kleine Strässchen ziehen sich wie Schlangen durchs Land, kurvig und schmal. Sie führen zu Häuseransammlungen, die die Bezeichnung Dörfchen kaum verdienen, zu schroffen Klippen und den Leuchttürmen, die auf ihnen thronen. Man rechnet mit wenig Gegenverkehr, und sollte dann doch mal etwas am Horizont auftauchen, bleibt bei den erlaubten dreissig Stundenkilometern Höchstgeschwindigkeit selbst in kurvigen Abschnitten problemlos Zeit, gefahrenfrei eine halbe Autobreite in Richtung strassensäumende Vegetation zu steuern. Hinter den Fenstern ziehen Felder vorbei und immer wieder weiss getünchte Fincas, deren Zufahrten von für die Insel typischen Holztoren versperrt werden. Aus den von Hand aufgetürmten Steinmauern strecken sich Gräser und kleine Blümchen ans Licht. Alles ist ein bisschen uneben, ein bisschen windschief, ein bisschen sonnengebleicht. Alles ist echt.

Authentizität und Eigenwilligkeit haben das Schicksal der Insel seit jeher geprägt. Seit sie sich während des Spanischen Bürgerkriegs hinter die Republikaner und gegen Diktator Franco gestellt hat, ist Menorca das schwarze Schaf der Balearen. Als einer der letzten Teile Spaniens, die kapitulierten, wurde Menorca vom Diktator bis zum Ende seiner Herrschaft mit Missachtung gestraft. Während er Fördergelder nach Ibiza und Mallorca schickte und die beiden Inseln in den 1950er-Jahren zu Tourismus-Hotspots machte, ging Menorca leer aus. Unbekannt und unterentwickelt rückte die Insel erst spät auf den Radar der Reisenden. 1993, als Mallorcas Landschaftsbild bereits jahrzehntelang von internationalen Hotelklötzen geprägt war, wurde Menorca zum Unesco-Biosphärenreservat erklärt – als Anerkennung des erreichten Gleichgewichts zwischen dem wirtschaftlichen Fortschritt, der Verwendung der Ressourcen und der Erhaltung der Landschaft. Noch heute steht fast die Hälfte der Insel unter Naturschutz. Und dürfte das auf absehbare Zeit bleiben.

Doch Menorca ist mehr als unberührte Landschaften und schützenswerte Biodiversität. Freunde kleiner, weisser Fischerdörfchen sind entzückt von Fornells oder Es Grau. Oder Binibeca Vell. Das in den 1960er-Jahren vom Architekten Antonio Sintes Mercadal konzipierte Dorf dürfte das einzige sein, das man auf Menorca als künstlich bezeichnen muss: Mit der Motivation, den quasi nicht existenten Tourismus anzukurbeln, bewarb Sintes Mercadal Bini­beca Vell mit seinen äusserst pittoresken 165 weissen Häuschen als «traditionelles menorquinisches Fischerdorf». Ob authentisch oder nicht, schön anzuschauen ist es – genau wie die Hauptstadt Ciutadella, deren Sandsteingebäude im Abendlicht leuchten, als wären sie in Gold getaucht, und wo Dutzende Delikatessenläden, Restaurants und Bars dazu einladen, sie kennenzulernen. Und was wäre Menorca ohne seine Weingüter, auf deren Terrassen man mit einem Glas Wein in der Hand und den Horizont im Blick spürt, wie gut man es im Leben doch eigentlich hat?

Was so wunderbar ist, lässt sich nicht auf ewig geheim halten. Seit vor einigen Jah­ren die internationale Designszene auf die Insel aufmerksam geworden ist, gewinnt sie besonders in Insiderkreisen stetig an Aufmerksamkeit. Designaffine Expats begannen, baufällige Anwesen aufzukaufen und respektvoll zu restaurieren. Das traditionell Menorquinische modern interpretiert. Weil die Insel die Substanz dazu bietet und – da darf man ganz ehrlich sein – man sichs hier noch leisten kann. Auf Private folgten erste Ketten – bis anhin nur die richtigen und diesen Sommer dann folgte der endgültige Ritterschlag: Die Schweizer Mega-Kunstgalerie Hauser & Wirth eröffnete einen Art-Space auf dem Menorcas Hafenstadt Mahón vorgelagerten Inselchen Isla del Rey.

Menorca: vom Geheimtipp zur In-Adresse? Man mag es befürchten, aber irgendwie auch bezweifeln. Denn Menorca, so hat die Geschichte gezeigt, beharrt auf seiner Wildheit, seiner Eigenart. Nach Jahrzehnten des Schattendaseins ist es mit seiner Rolle der Unbeugsamen eins geworden. Menorca strengt sich nicht an, uns zu gefallen, es gibt sich keine Mühe, es uns leicht zu machen. Menorca lässt finden, lässt geschehen. Im beruhigenden Wissen, dass absolut gar nichts seiner Schönheit etwas anhaben kann. Der Mensch will Natur? Hier kriegt er sie, mit allem, was dazugehört. Er isst, was wächst, er trinkt, was gedeiht. Er wandert über schroffe Felsen und badet im kristallklaren Wasser. Er kämpft gegen Mücken und manchmal vielleicht so wie wir mit einem verirrten Vogel in der Küche. Aber genau dafür ist er doch hergekommen.

ANREISE

Edelweiss fliegt von Mai bis Oktober jeweils ein- bis dreimal wöchentlich per Direktflug von Zürich nach Mahón und zurück. Ab Basel fliegt man zwischen März und Oktober ein- bis zweimal pro Woche direkt mit Easyjet.

CHECK-IN

Menorca Experimental

Die restaurierte Finca aus dem 19. Jahrhundert bietet fröhliches Design, grossartiges Essen und modernen Luxus auf dreissig Hektaren Privatgrundstück. Es bleiben keine Wünsche offen, versprochen. DZ ab Fr. 182.–.

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Torralbenc

Das Weingut bei Alaior ist eine Oase der Ruhe und des guten Geschmacks. Das beginnt beim Wein, geht übers Essen und den Garten und bis zu modernen, liebe-voll eingerichteten Gästezimmern. DZ ab Fr. 256.–.

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Santa Ponsa und Torre Vella Fontenille

Die beiden Hotels der Fontenille-Gruppe sind unterschiedlich und haben dennoch vieles gemeinsam: eingerichtet mit Stil, gespickt mit Luxus, umgeben von Natur. DZ ab Fr. 367.– bzw. Fr. 355.–.

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GOURMET

Bodegas Binifadet

Im Jahr 1979 pflanzte Carlos Anglés seinen ersten Weinstock. Rund vierzig Jahre später ist aus dem Freizeitprojekt eines der bekanntesten und schönsten Weingüter der Insel geworden. Unbedingt einen Tisch reservieren.

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Ca Na Pilar

Víctor Lidón war gerade mal sechzehn, als er im Familienrestaurant erstmals zu den Kochlöffeln griff. Nach Stationen in diversen Michelin-Restaurants ist er heimgekehrt und verwöhnt seine Gäste seither mit inseltypischen Köstlichkeiten. Ein Highlight!

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Cafè Balear

Das Restaurant am Hafen von Ciutadella gehört zu den beliebtesten der Insel – zu Recht. Die Location ist cool, das Personal herzlich und das Essen köstlich.

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Cova d’en Xoroi

Die Bar in den Felsen der Cala en Porter ist legendär. Vom gemütlichen Sundowner bis zu durchtanzten Nächten – hier kommen Romantiker wie Partygänger auf ihre Kosten.

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ENTDECKEN

Ciutadella de Menorca

In der Altstadt sprudelt das Leben – nach menorquinischen Verhältnissen zumindest. Ein Besuch lohnt sich besonders in den Abendstunden, wenn die Sonne die Sandsteingebäude in goldenes Licht taucht.

Binibeca Vell

Das von Architekt Antonio Sintes Mercadal konzipierte Fischerdorf mag nicht wirklich authentisch sein, sich in seinen weissen Gässchen zu verlieren, bereitet trotzdem Freude.

S’Albufera d’es Grau

Das Naturschutzgebiet im Osten der Insel eignet sich bestens für grössere und kleinere Wanderungen durch die menorquinische Wildnis. Wer dabei ins Schwitzen kommt, kann sich am gleichnamigen Sandstrand mit einem Sprung ins kühle Nass erfrischen.

Fornells

Das weisse Hafendörfchen an der Nordküste der Insel ist Ausgangsort für Wassersportaktivitäten wie Segeln oder Windsurfen und die Heimat des berühmten Langusteneintopfs Caldereta de Langosta.

Cala Macarelleta

Der vielleicht schönste Badeplatz der Insel. Vom Hauptstrand Cala Macarella gehts über Stock und Stein in das kleinere Nebenbüchtchen, wo weisser Sand und kristallklares Wasser auf einen warten. Woran es mangelt? Platz. Wer zu spät kommt, wird sich ärgern.

Cala Mitjana

Wer hier baden will, unternimmt zuerst einen zwanzigminütigen Waldspaziergang. Wer den Weg auf sich nimmt, wird mit einem Traumstrand belohnt: das Wasser, der Sand, der Blick … Wer jede Sonnenminute nutzen will, sollte vorbereitet kommen und ausreichend Sonnencreme, Wasser und Proviant mitbringen.

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