Die Liebschaft von Mode und Kunst datiert weit zurück. Wir erinnern uns: 1937 zierte das Sujet eines Hummers aus der Hand von Salvador Dalí ein Kleid der Modelegende Elsa Schiaparelli – der Lobster Dress war geboren. Yves Saint Laurent nannte seine Herbstkollektion von 1965 «The Mondrian Collection», und Jean-Paul Gaultiers Frühling/Sommer-Schau von 1998 war bekanntlich inspiriert von Frida Kahlo.
LEINWAND
Für die vierte Auflage der Artycapucines hat Louis Vuitton sechs zeitgenössische Künstler an Bord geholt, die der Kulttasche einen neuen Anstrich geben.
Einer der Hauptakteure im Zusammenspiel von Mode und künstlerischem Schaffen ist heute Louis Vuitton. Das französische Luxushaus arbeitet seit Jahrzehnten genreübergreifend kreativ. So laden auf der ganzen Welt verschiedene «Espaces Louis Vuitton» zur Begegnung mit zeitgenössischer Kunst ein, die Buchserie «Fashion Eye» lässt renommierte Fotografen ihre Lieblingsorte dokumentieren, und für die exklusive Designlinie «Objets Nomades» arbeitet das Haus regelmässig mit den gefragtesten Namen aus Interior-Design und Architektur zusammen. Daraus entstehen funktionelle und innovative Möbel und Objekte fürs Zuhause, allesamt in luxuriösester Louis-Vuitton-Manier.
Die Vereinigung von Handwerkskunst und konzeptioneller Kraft zelebriert seit 2013 auch das Projekt Artycapucines, das auf der Idee beruht, Louis Vuittons Kulthandtasche Capucine von internationalen Künstlern neu interpretieren zu lassen. Es ist bereits das vierte Mal, dass die Marke mit sechs Grössen aus der ganzen Welt zusammenspannt und der Ikone – sie ist nach der Rue des Capucines benannt, an der 1854 die erste Louis-Vuitton-Boutique eröffnet wurde – einen Neuanstrich verleiht. Dazu beauftragt wurden dieses Jahr Peter Marino und Kennedy Yanko aus den USA, Daniel Buren und Amélie Bertrand aus Frankreich, Park Seo-Bo aus Korea sowie der Schweizer Ugo Rondinone.
Die Ende Oktober präsentierten Kreationen widerspiegeln die Essenz ihrer jeweiligen Schaffer auf plakative Art und Weise: Daniel Buren, dessen berühmteste Installation aus schwarz-weissen Säulen besteht und im Innenhof des Palais Royal in Paris als gefragtes Fotosujet fungiert, zeigt seine Affinität zur Geometrie beispielsweise im Taschenhenkel mit Trompe-l’Œil-Effekt. Park Seo-Bo, einer der angesehensten Künstler Koreas und Begründer der monochromen Maltechnik Dansaekhwa, übersetzte eine Malerei seiner Serie «Écriture» von 2016. Um die fühlbare Textur des Werkes nachzubilden, wurde das Kalbsleder der Tasche zunächst mit einem pinselstrichähnlichen Coup-de-Pinceau-Effekt behandelt. Das Finish bildet die 3D-Gummispritzung, basierend auf einem Scan des Originalbildes.
Beeindruckt von den Möglichkeiten der Ateliers des französischen Modehauses war auch Ugo Rondinone, dessen Artycapucine die wohl farbigste aller Modelle darstellt. Als Hommage an sein Œuvre und die langjährige ästhetische Auseinandersetzung mit Clowns liess er fast 15 000 farbige Glasperlen auf das Leder applizieren, um ein Gefühl von Dimension und Volumen zu schaffen. Blümchen aus dem 3D-Drucker sind delikat in den diamantförmigen Farbsektionen platziert. Sie sind einerseits eine Erinnerung an ein eigenes Werk von 1988, andererseits eine Referenz an das Monogramm von Louis Vuitton.
Dass seine Artycapucine viel mehr Mode als Kunst ist, liegt für den 57-Jährigen aus dem Kanton Schwyz auf der Hand: «Mit einer Tasche zu arbeiten, erfordert die Anerkennung ihrer funktionalen Endnutzung, was bei meiner Kunst nie der Fall ist», erklärt Rondinone. Während Peter Marino zwischen den beiden Begriffen keinen Unterschied ausmacht und Kennedy Yanko das Endprodukt schlicht als «Kreation» betitelt, ist Park Seo-Bo wiederum der Meinung, dass man seine Tasche mit dem Originalbild gemeinsam ausstellen müsste, als Kunstobjekt sozusagen. Daniel Buren meint: «Ich nehme mein Schaffen nie als Kunst wahr, schon gar nicht, wenn es um einen Gebrauchsgegenstand geht. Ich hoffe bloss, dass meine Artycapucine eine Annäherung an die Gefilde der Schönheit ist.»
Obwohl die Exemplare der Kollektion keine Einzelstücke sind, darf man durchaus von Exklusivität sprechen: Weltweit werden bloss zweihundert Ausführungen jeder Tasche verkauft. Glücklich, wer eine in die Hände bekommt.