Maskenball

Christoph Hefti fühlt sich überrumpelt. Nach dem Corona–Jahr wollen alle ein Stück von ihm. Zum Glück hat die Arbeit des Schweizer Textildesigners viele Gesichter.

MANIERA Knokke-JeroenVerrecht-BESCHNITT-ONLINE

Wir sitzen im Zürcher Volkshaus, es ist Ende August, und der Sommer scheint sich langsam zu verabschieden. Auf den Helvetiaplatz platschen dicke Regentropfen. Christoph Hefti ist gerade aus dem Tessin zurückgekehrt, wo er eine Woche Ferien verbrachte. «Wohlverdient», wie er selbst sagt. Denn auch in der Ruhe des Lockdowns wurde die Arbeit kaum weniger. So zeigte Hefti vergangenen November in Dries Van Notens Little House in Los Angeles Teppiche, Stoffe und Keramiken und kuratierte zusammen mit der Kunsthistorikerin Karin Gimmi die Schau «Wild Thing» über die Modeszene Schweiz, die einen Monat später im Museum für Gestaltung Zürich eröffnet wurde. Und auch nach dem zweiten Lockdown reihte sich wieder Projekt an Projekt. Für das MA-Musikfestival in Brügge, das Anfang August stattfand, entwarf Hefti einen raumhohen, mit grotesken Gesichtern bedruckten Wandbehang. In Brüssel stattete er den Co-Working-Space Silversquare mit einem 35 Meter langen Vorhang aus. In einer Manufaktur in Tours entwickelte er eine handbedruckte Tapete mit Mondmotiven für die Ausstellung «Pushing Back The Walls» im Brüsseler Horta Museum, die noch bis zum 14. November zu sehen ist. Schon seit Beginn der Pandemie ist ein grosser Teppich in Nepal in Arbeit – ein Herzensprojekt –, und Ende September ist Hefti mit der Galerie Maniera an der Messe Design Miami/­Basel vertreten. «Es passiert gerade all das, worauf ich lange gewartet habe.»

Dabei ist der Schweizer schon seit vielen Jahren als Textildesigner erfolgreich. Nach seinem Zweitstudium am Central Saint Martins College in London holte ihn Jean-Paul Gaultier in den Neunzigern nach Paris. Zwei Jahre später wechselte Hefti ins Modehaus von Dries Van Noten nach Antwerpen. Hier blieb er dreizehn Jahre und lebte sich in Belgien so gut ein, dass er bis heute zwischen Zürich und Brüssel pendelt. In den letzten zehn Jahren war er bei so bekannten Modelabels wie Lanvin, Balenciaga und Acne Studios unter Vertrag. Als Casey Cadwallader 2018 den Posten als Kreativdirektor beim französischen Modehaus Mugler übernahm, fragte er Hefti an, ob er für ihn arbeiten wolle. Die beiden hatten sich während ihrer Zeit bei Acne Studios in Stockholm kennengelernt. Seitdem entwirft der Schweizer zusammen mit Cadwallader Prints, die die körperbetonten Schnitte und hyperweiblichen Silhouetten des hippen Pariser Labels unterstreichen.

Als Christoph Hefti 2010 schweren Herzens bei Dries Van Noten kündigte, wollte er sich neben der Freiheit, die er sich als Freelancer erhoffte, auch einen Traum erfüllen: «Ich hatte bislang nie unter meinem eigenen Namen gearbeitet. In einer Phase, in der sich die Modewelt mit vier und mehr Kollektionen pro Jahr immer schneller drehte, sehnte ich mich nach Zeit, Qualität und kompromisslosen Entwürfen.» Kurzerhand setzte er sich mit seinem Skizzenbuch und vielen Ideen für einen ersten Teppich ins Flugzeug. Ziel: Kathmandu. Dort angekommen, besuchte er mehrere kleine Manufakturen und entschied sich für zwei Produzenten, mit denen er bis heute arbeitet. So entstand der erste Maskenteppich. «Im schlimmsten Fall hätte ich damals einfach einen schönen Urlaub gehabt und einen handgeknüpften Teppich mit nach Hause gebracht. Doch als der Prototyp bei mir in Brüssel auf dem Boden lag, fanden ihn alle ganz toll», meint er. Besonders mochten ihn Amaryllis Jacobs und Kwinten Lavigne, die etwa zur gleichen Zeit ihre Designgalerie Maniera co-gründeten. Sie holten Hefti zu sich und stellen seine Entwürfe nun seit sieben Jahren in ihrem Showroom in Brüssel und an internationalen Messen aus. Manchmal besuchen sie ihn auch zu Hause und schauen, was es Neues gibt. «Oft packt Amaryllis beim Weggehen einfach ein paar meiner Keramikarbeiten ein, die immer dann entstehen, wenn mal eine Woche lang etwas weniger zu tun ist. Allein fällt es mir schwer, mich für eine zu entscheiden.»

Trotz all dem Erfolg, betont der Designer, habe er nie die Bodenhaftung verloren. Als Metzgersohn aus Richterswil ZH absolvierte er den Vorkurs an der Kunstgewerbeschule und wollte danach eigentlich eine Lehre machen. Doch dazu kam es nicht. Stattdessen nahm er mit der Unterstützung seiner Eltern sein erstes Textildesignstudium in Zürich auf. Er sei damals davon überzeugt gewesen, dass sich sowieso niemand für seine Arbeit interessieren würde, weshalb seine Entwürfe auch so verrückt und abgehoben waren.

Doch als er diese nach seinem Diplom Andi Stutz von Fabric Frontline schickte, konnte er direkt am nächsten Tag in dessen Textilatelier anfangen. «Andi war sehr wichtig für mich. Bei ihm bekam meine Arbeit plötzlich Bedeutung. Sein ehemaliges Atelier liegt nur ein paar Häuser von hier entfernt», erzählt Christoph Hefti, dreht sich um und blickt durch die Fenster auf die Ankerstrasse Richtung Europaallee. Und dann wird er noch etwas nachdenklicher und betont, wie schön es für ihn gewesen sei, als Dries Van Noten, sein zweiter grosser Mentor, ihn letztes Jahr für die Ausstellung in Los Angeles angefragt habe. Schliesslich seien es doch die zwischenmenschlichen Beziehungen, die unser Leben und auch unsere Arbeit so reich machen.

Dann muss er weiter. Wäsche waschen. Koffer packen. Morgen geht es mit dem Zug nach Brüssel. «Adieu», sagt er und läuft in seinen schwarzen Adidas-Turnschuhen über den nassen Helvetiaplatz davon.

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