Reise nach Alentejo

Rauland

Blumen blühen, erste Tische stehen im Freien — der Frühling ist die schönste Jahreszeit im Alentejo, Portugals hügeligem Süden.

Unberührt

An sonnigen Tagen wird in Barrocal gepicknickt. Das Küchenteam füllt kräftiges Alentejo-Brot, aromatischen Schafmilchkäse, Oliven vom eigenen Gut, Kartoffeltortilla, Obst und süsse Cremeküchlein in einen Weidenkorb, dazu kommen eine Flasche Rosé und eine gestreifte Baumwolldecke, die mal zwischen Kühen auf einer Klatschmohnwiese, mal unter einem Olivenbaum mit Blick auf die Festung Monsaraz oder anderswo ausgebreitet wird.

Die Gäste haben die Qual der Wahl, denn «São Lourenço do Barrocal» ist ein in ein Hotel verwandelter Bauernweiler mit 780 Hektar Landwirtschaft drum herum. Früher lebten hier fünfzig Familien und versorgten sich selbst: Es gab einen Bäcker, einen Käser, einen Schmied, einen Schreiner, eine Schule und eine Stierkampfarena. Heute schlendern Feriengäste über die mit Natursteinen gepflasterten Wege des Gehöfts, zwischen duftenden Orangenbäumchen und hüfthohem Rosmarin steht ein Ensemble original erhaltener Wohnhäuser, die die Zimmer, Suiten und Cottages des Hotels beherbergen. Empfang, Restaurant und Spa sind nicht beschildert, auch den Pool, die Pferdeställe und die mächtigen Findlinge, die wie liegen gebliebenes Riesenspielzeug in der Landschaft verstreut sind, entdeckt man eher zufällig.

«Unsere zwei Jahrhunderte alte Farm ist eine der grössten im Alentejo», erzählt José António Uva, der sie in achter Generation leitet. Bis 2002 war er im Londoner Bankenbusiness tätig, dann kam er nach Portugal zurück, um sich um den Familienbesitz zu kümmern. Sein Plan: Die verwahrloste Farm sollte wieder bewirtschaftet und die verlassenen Bauten bewohnt werden – nicht von Landarbeitern allerdings, sondern von Feriengästen. Aus alten Häusern wurden luxuriöse Gästeunterkünfte, im ehemaligen Hundezwinger ist das Restaurant untergebracht, im Hühnerstall der Hotelshop und in der Olivenmühle die schicke Bar. «Ich wollte so viel wie möglich erhalten», sagt José António Uva, der mit der Eröffnung von «São Lourenço do Barrocal» fast im Alleingang eine vor sich hin schlummernde Region auf den Radar anspruchsvoller Reisender brachte.

Das «Land jenseits des Tejo» grenzt im Norden an Lissabon, im Süden an die Algarve, im Osten an Spanien und im Westen an den Atlantik. Die Region umfasst knapp ein Drittel des portugiesischen Festlands, aber lediglich fünf Prozent der Bevölkerung sind hier zu Hause. Diese Einsamkeit galt lange als Makel, erst neuerdings entdecken Reisende die traumhafte Ruhe dieser von Korkeichen, Olivenhainen, Weinbergen und einer scheinbar endlosen Küste geprägten Gegend. «Wir könnten eine Topdestination sein, sind es aber nicht», sagt José António Uva dazu.

Für alle, die trotzdem kommen, ist das eine gute Nachricht. Sie bedeutet, dass man an einem klaren Frühlingsmorgen fast allein durch die Zitadelle von Monsaraz schlendern kann. Dass man problemlos einen Platz im verwunschenen Patio des Cafés Sahida findet oder einen Tisch auf der Terrasse des Restaurants Xarez, wo es zu geröstetem Landbrot mit Ziegenkäse und Honig oder Venusmuscheln mit Koriander einen Cinemascopeblick über Getreidefelder und Weingärten gibt. Wie in allen Dörfern des Alentejo sind die weiss gekalkten Häuser mit gebrannten Tonziegeln bedeckt, um Insekten fernzuhalten, wurden Fenster und Türen mit goldgelben, blauen oder grauen Umrahmungen versehen. Schmale Gassen führen zu kleinen Geschäften, die fast ausschliesslich in der Region produzierte Dinge verkaufen: Baststühle, Seifen auf Olivenölbasis, bunte Keramiken aus dem Töpferdorf São Pedro do Corval.

Im Delikatessenladen Casa Tial steht der Franzose Thierry Bernard und erklärt, dass die traditionellen «queijinhos» (Küchlein aus Eigelb und Mandelpaste) von seiner Nachbarin gebacken werden, dass der Honig von einem Imker aus dem Dorf stammt und der Biowein von einem kleinen Produzenten aus der Region. Wer sich lange genug mit ihm unterhält, bekommt einen Espresso und den Tipp, um die Ecke bei Fabricaal vorbeizuschauen. Dort gibt es handgewobene Wollpoufs und -decken, die im Nachbardorf Reguengos de Monsaraz an teilweise über hundertjährigen Webstühlen gefertigt werden.

Dass die typischen Alentejo-Muster so urban und zeitgeistorientiert wirken, ist einem Trio zu verdanken, das die Weberei 2020 übernahm: Luís Peixe, ein ehemaliger Ingenieur, António Carreteiro, der als Make-up-Artist arbeitete, und Margarida Adónis, eine Filmproduzentin. «Ich dachte zunächst nur an eine Investition», erzählt Luís Peixe. «Dann kam Corona, und ich hielt es für besser, mit meiner Familie aufs Land zu ziehen.» Inzwischen leben auch seine beiden Geschäftspartner in Reguengnos und Umgebung. «Unsere Lebensqualität hat sich deutlich verbessert», sagen sie übereinstimmend. Der Umsatz von Fabricaal auch – neuerdings gehören Interior-Designer und schicke Boutiquehotels zu den Abnehmern, Privatkunden lassen sich individuell gestaltete Teppiche aus lokaler Merinowolle anfertigen.

Wie alte Traditionen neu belebt werden können, zeigt auch der junge Küchenchef Carlos Teixeira. Sein Reich ist das Restaurant der Herdade do Esporão, die zu den schönsten, besten und modernsten Weingütern des Alentejo zählt. Die hier verarbeiteten Trauben stammen aus biologischem Anbau, das Gleiche gilt für die zu Öl gepressten Oliven. Dazu passen die Zero-Waste-Philosophie des Küchenchefs wie auch sein Anspruch, mit lokalen und saisonalen Produkten zu kochen. Der Zander aus dem nahen Fluss Guadiana kommt grilliert auf den Tisch, begleitet von einem cremigen Brotbrei und einer Sauce aus Fischfond, Olivenöl, Koriander und Minze. Dazu passt der strohgelbe, nach Feigen, Grapefruit und Pfeffer duftende Vinho de Talha, eine der zwei Dutzend Etiketten der Herdade, die zu den Grossproduzenten unter den rund 400 Weingütern der Region zählt. «Manche Leute bezeichnen uns als die neue Toskana oder das nächste Napa Valley, aber das sind wir nicht», sagt Carlos Teixeira, «dafür ist der Alentejo zu unbekannt.»

Das stimmt nur bedingt: Die über hundert Kilometer lange Küste mit ihren nur spärlich besuchten Prachtstränden ist schon länger kein Geheimtipp mehr – vor allem Comporta gilt als portugiesischer Hotspot. Das zwischen Reisfeldern und Pinienwäldern gelegene Küstendorf war bis vor 300 Jahren eine Strafkolonie, danach liessen sich Fischer, Reis- und Salzbauern am Flussdelta nieder. Sie bauten bescheidene Cabanas aus Stroh, Lehm und Pinienholz und lebten von der Landwirtschaft und den Köstlichkeiten, die sie mit ihren bunten Holzbooten aus dem Meer holten. Heute bewohnen Designer Jacques Grange, Ex-Model Farida Khelfa, Schauspielerin Monica Bellucci und Künstler Anselm Kiefer eigene Häuser in der Dünenlandschaft. Sofia Coppola wurde beim Shopping im Dorf gesichtet, Charlotte Casiraghi beim Baden im Meer und Kristin Scott Thomas beim Lunch im Restaurante Sal am breiten Strand von Carvalhal.

Puristen, denen die Surfer und Sonnenanbeter, die modernistischen Villen und coolen Restaurants missfallen, sind weitergezogen. Im südlich gelegenen Melides gibt es ein paar winzige Supermärkte, eine Post, diverse Kneipen und Cafés und eine Metzgerei mit fantastischen grillierten Hühnchen. Ein unscheinbares Kaff möchte man meinen. Doch so ganz unentdeckt ist auch Melides nicht mehr. Smarte Hauptstädter haben erste Boutiquen mit Designerbikinis, bunten Kaftanen und Strohhüten eröffnet und der Pariser Schuhpapst Christian Louboutin das Hotel Vermelho – das erste und einzige Luxushotel weit und breit. Es steht im historischen Ortskern, nur einen Steinwurf entfernt von der weiss getünchten Igreja de São Pedro, deren Glocken in jedem der dreizehn Zimmer und Suiten zu hören sind. Von aussen wirkt es wie ein distinguiertes Stadtpalais, doch hinter der schweren Holztür entfaltet sich die exzentrische und überaus glamouröse Welt des Stardesigners aus Paris.

Jetzt im Frühling wirkt Melides wie ausgestorben, dafür ist das Hinterland umso schöner. Die Alentejo-Kapitale Évora, von den Römern erbaut und später von den Mauren übernommen, zählt nicht umsonst zum Unesco-Weltkulturerbe. Das 50 000-Einwohner-Städtchen punktet mit einem römischen Tempel und der makabren Capela dos Ossos, deren Wände von menschlichen Knochen bedeckt sind. In der wunderbar altmodischen Pastelaria Conventuais Pão de Rala gibt es kalorienreiche Klosterküchlein und im coolen Café do Largo köstliche Açai-Bowls unter blühenden Jacaranda-Bäumen.

Weniger bekannt ist das von Weinbergen umgebene Estremoz. Wenn am Samstag der grosse Floh- und Lebensmittelmarkt auf dem Rossio-Platz stattfindet, kommt das halbe Dorf zusammen. Besucher gehen ins Fliesenmuseum Berardo Estremoz und in die winzige Zitadelle hoch über der Stadt, Insider treffen sich auf der Terrasse der Casa do Gadanha oder direkt gegenüber in Tom Biltons lässigem Pelourinho-Bistro. Der 32-jährige Brite ist von London nach Estremoz gezogen, um seinem Vater bei der Arbeit auf dessen Weingut und im extravaganten Restaurant Howard’s Folly zu helfen. «I love living here», sagt er.

CHECK-IN

São Lourenço do Barrocal 24 cremeweiss gestrichene schlichte Zimmer, Suiten und Cottages in den ehemaligen Wohnhäusern von Landarbeitern in Monsaraz wurden aufwendig restauriert und mit antiken Bauernmöbeln ausgestattet. DZ ab Fr. 400.-. barrocal.pt

Moura Suites Das zeitgeistorientierte Hotel bespielt einen Palast aus dem 15. Jahrhundert in bester Altstadtlage von Évora. Neben 25 modern möblierten Zimmern, Suiten und Studios locken ein Innenhof mit Pool, eine Terrasse und ein vertikaler Garten. DZ ab Fr. 150.-. mourasuites.pt

Torre de Palma Wine Hotel Unweit des Städtchens Monforte wurde ein verwahrloster Bauernhof in ein elegantes Boutiquehotel verwandelt. Die 18 Zimmer sind in den früheren Stallungen und ehemaligen Cottages der Landarbeiter untergebracht und unterschiedlich gestaltet. DZ ab Fr. 255.–. torredepalma.com

Almalusa Schickes Boutiquehotel im Dorfzentrum von Comporta. Die 53 Zimmer und Suiten sind mit Naturmaterialien und viel Weiss gestaltet und mit Balkon, Terrasse oder Garten versehen. Zum Hotel gehören ein Pool sowie ein Café, abends geniesst man die Dachterrasse. DZ ab Fr. 135.–. almalusahotels.com/comporta

Hotel Vermelho Über der Réception prunkt ein riesiges Azulejo-Wandbild, anderswo schmücken maurische Beistelltische, Lampen aus Muranoglas und indische Wandteppiche die Räume des Hauses in Melides. DZ ab Fr. 360.–. vermelhohotel.com

Dá Licença In diesem ungewöhnlichen 9-Suiten-Hotel in Estremoz verbinden sich Kunst und Natur, Tradition und Moderne, Einfachheit und Luxus. Man wohnt zwischen Jugendstil und Wiener Sezession, Marmorbädern und Panoramafenstern. Gekocht wird ausschliesslich auf Vorbestellung. Suite ab Fr. 424.–. dalicenca.pt

ESSEN

Herdade do Esporão Das Restaurant des bekannten Weinguts in Reguengos de Monsaraz hat einen roten und einen grünen Michelin-Stern. Im luftigen Raum mit Terrasse und Aussicht locken Lamm mit geröstetem Orangenreis und roter Reserva vom eigenen Gut. esporao.com

Cavalariça Das Restaurant in einem Altstadtpalazzo in Évora wurde von Jacques Garcia mit poppigen Wandmalereien, korallenroten Kissen und einem Boden in weiss-grünem Zickzackmuster gestaltet. Man zelebriert die Alentejo-Küche mit grilliertem Oktopus, Kichererbsenkroketten und fluffiger Kartoffeltortilla. cavalarica.com

Howard's Folly Winery Die Bar und das Restaurant sind in Howard Biltons hochmoderner Weinkellerei in Estremoz untergebracht. Aus der einsehbaren Küche kommen modern interpretierte portugiesische Spezialitäten. howardsfollywine.com

Mercearia Gadanha Ursprünglich war dies ein kleiner Delikatessenladen in Estremoz, dann kam ein netter Speisesaal dazu. Serviert wird eine leicht modernisierte Regionalküche. merceariagadanha.pt

Restaurante Sal Entspanntes Lokal am breiten Strand von Carvalhal. Man sitzt auf dem Holzdeck unter hellen Sonnenschirmen und lässt sich Stockfischküchlein, Korianderreis und grillierten Wolfsbarsch zu einer kühlen Weissweinsangria mit Beeren und Basilikum schmecken. restaurantesal.pt

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