Entlang der Avenue de Champagne

Der berühmteste Schaumwein der Welt ist immer eine Reise wert.

Print 1: Champagner

Ein bisschen wie Disneyland, so kommt einem die Avenue de Champagne vor. Fadengerade führt sie von der Innenstadt von Épernay hinaus in die Weinberge, und schon auf den ersten Metern erkennt der Reisende, dass es sich nicht um eine x-beliebige Strasse handelt. Feines Pflaster, ehrwürdige Gebäude an beiden Seiten, wenig Verkehr und immer wieder Tische und Stühle in den schicken Innenhöfen der prächtig verzierten Gebäude. Ganz vorn steigt gerade ein Ballon nach oben, nur ein paar Dutzend Meter. Wer eine Eintrittskarte löst, darf einsteigen und gewinnt einen beeindrucken Überblick über die Champagne. Jedenfalls über jenen Teil der nordfranzösischen Weinbauregion, der rund um Épernay liegt.

Gewiss, in der alten Königsstadt Reims ist deutlich mehr los, da gibt es die Kathedrale zu besichtigen, eine der berühmtesten Kirchen gotischer Bauweise, da tobt das Leben einer Grossstadt. Doch auch Épernay hat was zu bieten. Was das ist, das erkennt der Besucher schnell. Grosse Namen prangen an den Fassaden. Perrier-Jouët oder Moët & Chandon, De Venoge oder Dom Pérignon. An warmen Sommertagen stehen sie hier Schlange, die Besucher aus der Schweiz, aus Deutschland, den USA oder Asien, um jene Keller zu besuchen, in denen die Champagner seit Jahrhunderten gelagert werden. Mächtige Gewölbe, von unzähligen Arbeitergenerationen in den weichen Kalk geschlagen. Ohne diesen Stein ginge es nicht in der Champagne.

Ohne Bläschen allerdings auch nicht. Und was den Kalk angeht, ist nicht in erster Linie dessen Eignung als Lagerstätte zu loben, sondern eher seine Fähigkeit, den Weinen besonderen Charakter zu verleihen. Ob die Region auch für ihre Schaumweine bekannt wäre, hätten sich andere geologische Formationen herausgebildet? Zu klären sein wird dieses Rätsel nicht mehr. Klar ist aber, dass die Kalkböden des Pariser Beckens – einst ein Meer – für den Weinbau ausgezeichnet geeignet sind. Weil das Wetter eher kühl ist, bewahren die Moste Säure, während der überschaubare Zuckergehalt zu schlanken Weinen mit wenig Alkohol führt. Genau richtig für die Versektung! Auch wenn noch andere Rebsorten existieren, läuft fast alles auf Chardonnay und Pinot noir sowie dessen Verwandten namens Pinot meunier hinaus. In vielen Champagnern sind Grundweine mehrerer Rebsorten enthalten, andere werden komplett aus Chardonnay gekeltert und nennen sich dann Blanc de Blancs. Aber auch pure Pinots noirs und – seltener, aber spannend – reinsortige Pinots meuniers sind zu haben. Von allem etwas ist drin in jenem Champagner, den die junge Französin beim Frühstück im «Le 25bis» einschenkt, passend zu feinen Croissants und à la minute gemachten Eierspeisen. Wer an der Avenue de Champagne nicht nur besichtigen, sondern auch übernachten will, hat nicht viele Möglichkeiten. Das «Le 25bis» vom Champagnerhaus Leclerc Briant sucht folglich seinesgleichen. Das kleine Hotel befindet sich gleich hinter dem Shop des individuell geführten Champagnerhauses. Im Hof sitzen die Geniesser und trinken an einem der letzten warmen Herbsttage ein Glas vom Brut-Champagner, drinnen zeigt der Empfangsmitarbeiter das gebuchte Appartement. Luxuriös ist es, Parkett und wertvolles Mobiliar, feine Bettwäsche und eine grosse Badewanne. Viel stilvoller kann man nicht übernachten – viel nachhaltiger auch nicht. Leclerc Briant ist schliesslich einer der Vorreiter des biodynamischen Weinbaus in der Champagne. Sorgfalt war hier schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als noch kaum ein Kollege über Umwelt und Nachhaltigkeit sprechen wollte, ein Thema.

Inzwischen machen sich immer mehr Winzer Gedanken um Weinberge und Böden. Immer mehr ernten zudem nicht nur die Trauben und liefern sie den grossen Kellereien ab, sondern bauen sie selbst zu Schaumwein aus, machen den etablierten Maisons, denen mit den prächtigen Geschäftsgebäuden in Épernay oder Reims, Konkurrenz. Winzernamen wie Selosse und Egly-Ouriet sind binnen weniger Jahre Kult geworden. Die grossen Firmen wiederum setzen auf Renommee, Erfahrung und die Reserven an alten Jahrgängen, mit denen sich die neuesten Ernten aufpeppen lassen. Ein altes Rezept, um dem Champagner eine gewisse geschmackliche Kontinuität zu verschaffen. Dass kein Jahrgang auf den Etiketten steht, bedeutet nicht, dass es an Qualität mangelt, obwohl die Jahrgangschampagner, gewonnen aus dem Ertrag einer einzigen Ernte, meist nochmals spannender ausfallen. An der Spitze der Hierarchie allerdings rangieren die Prestigecuvées, jene Spezialitäten, die oft nur in geringen Mengen auf den Markt kommen – in speziellen Flaschen, mit besonderen Namen und Etiketten. Der sogenannte Cristal von Roederer wurde zur Mutter aller Prestige-Champagner, 1876 erfunden für den russischen Zaren, der durchsichtige Flaschen erbat, um sich vor etwaigen in der Bodenwölbung versteckten Bomben zu schützen. Während diese Geschichte auf historischen Tatsachen beruht, ist jene über einen gewissen Dom Pérignon leicht übertrieben. Tatsächlich hat der Mönch den schäumenden Wein nicht erfunden, wie man immer wieder hört, ihn allerdings in seiner Entwicklung vorangetrieben. Pierre Pérignon, der Kellermeister der Abtei Hautvillers, experimentierte lange mit dickerem Glas, damit die Flaschen nicht platzen, verbesserte den Verschluss und half, den Champagner zu jenem prickelnden Getränk zu machen, als das er heute bekannt ist. Doch noch lange nach seinem Tod 1715 blieb beim Champagner das Try-and-Error-Prinzip in Kraft. Warum er manchmal prickelte und dann wieder still blieb, war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein unklar; erst Louis Pasteur erklärte die alkoholische Gärung.

In Épernay ist die Statue des berühmten Mönches unübersehbar. Hinter den Mauern der angrenzenden Gebäude empfängt Vincent Chaperon, der Kellermeister von Dom Pérignon – allerdings nur die, welche einen Termin vereinbaren durften. Alle anderen können auf die offiziellen Tastings ausweichen und lernen, wie viel Erfolg die zum Konzern LVMH gehörende Marke hat. Wie viele Flaschen jährlich unter dem Namen Dom Pérignon abgefüllt werden, ist Teil des Betriebsgeheimnisses, aber Experten gehen von Millionen aus. Die Ergebnisse überzeugen mit Kraft und Würze, werden umso interessanter, je länger sie gereift sind. Zehn und mehr Jahre «auf der Hefe», wie Champagnerexperten jene Periode nennen, die Schaumweine nach Einleitung der zweiten Gärung in der fest verschlossenen Flasche verbringen, sind keine grosse Sache. Selbst nach dem sogenannten Degorgieren, dem Entfernen der Hefe und dem endgültigen Verschliessen, muss man nicht sofort ans Austrinken denken. Champagner der besseren Art lassen sich auch jahrelang im eigenen Keller lagern, ohne an Qualität zu verlieren.

Wer solche reifen Spezialitäten nur zum Apéro trinkt und dann auf stille Weiss- und Rotweine umschwenkt, ist eh selbst schuld. Die trocken schmeckenden Brut- oder Extra-Brut-Champagner, weiss oder rosé, begleiten locker ein komplettes Essen, von der Vorspeise über Fisch und Fleisch bis zum Käse. Und was die Desserts angeht: Manche Erzeuger stellen auch heute noch einen Dry- oder Démi-sec-Champagner her, der mit leichter Süsse aufwartet. Nach ausgiebigem Verkosten mit und ohne Speisen wirkt übrigens auch die Avenue de Champagne kaum noch wie Disneyland, sondern eher wie ein Gourmetparadies, das mehr Geschichte und Genüsse bietet als alle Freizeitparks der Welt zusammen. Für alle Fälle lagert im Kühlschrank des gebuchten Appartements im «Le 25bis» noch eine Flasche Champagner. Ist im Preis inbegriffen.

ÜBERNACHTEN IN DER CHAMPAGNE

Le 25bis: Luxuriöses Bed & Breakfast von Leclerc Briant an der Avenue de Champagne in Épernay. DZ ab 300 Franken. Mehr Informationen findest du hier.

Aux Armes de Champagne: Romantisches Hotel mit guter Küche, direkt gegenüber der Kirche Notre-Dame von L’Épine. DZ ab 140 Franken. Mehr Informationen findest du hier.

Hôtel Les Avisés: Boutiquehotel von Anselme Selosse, einem der besten Champagnererzeuger. DZ ab 210 Franken. Mehr Informationen findest du hier.

CHAMPAGNER FÜR DIE FEIERTAGE

Leclerc Briant, brut Réserve: Überdurchschnittlich gelungener Champagner eines biodynamischen Pioniers, bei suedhang.com, 46 Franken.

Jacquesson, Cuvée 744, extra brut: Eigenständiger Schaumwein, dessen Grundweine im Fass vergoren wurden, bei schubiweine.ch, 59 Franken.

Rare, Rosé, 2008: Ein Brut mit viel Würze, feiner Hefenote und unglaublicher Finesse, bei secli-weinwelt.ch, 341 Franken.

Moët & Chandon Nectar Impérial, DRY Rosé: Rosé-Champagner mit einem Hauch von Süsse – passend zum Weihnachtsgebäck, bei vinum.swiss, 64 Franken.

Dom Pérignon brut, 2012: Kraftvoller, würziger Luxuschampagner mit Briochenoten, bei bauraulacvins.ch, 241 Franken.

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