Der Champagner und seine Geheimnisse
Ohne Bläschen allerdings auch nicht. Und was den Kalk angeht, ist nicht in erster Linie dessen Eignung als Lagerstätte zu loben, sondern eher seine Fähigkeit, den Weinen besonderen Charakter zu verleihen. Ob die Region auch für ihre Schaumweine bekannt wäre, hätten sich andere geologische Formationen herausgebildet? Zu klären sein wird dieses Rätsel nicht mehr. Klar ist aber, dass die Kalkböden des Pariser Beckens – einst ein Meer – für den Weinbau ausgezeichnet geeignet sind. Weil das Wetter eher kühl ist, bewahren die Moste Säure, während der überschaubare Zuckergehalt zu schlanken Weinen mit wenig Alkohol führt. Genau richtig für die Versektung! Auch wenn noch andere Rebsorten existieren, läuft fast alles auf Chardonnay und Pinot noir sowie dessen Verwandten namens Pinot meunier hinaus. In vielen Champagnern sind Grundweine mehrerer Rebsorten enthalten, andere werden komplett aus Chardonnay gekeltert und nennen sich dann Blanc de Blancs. Aber auch pure Pinots noirs und – seltener, aber spannend – reinsortige Pinots meuniers sind zu haben. Von allem etwas ist drin in jenem Champagner, den die junge Französin beim Frühstück im «Le 25bis» einschenkt, passend zu feinen Croissants und à la minute gemachten Eierspeisen. Wer an der Avenue de Champagne nicht nur besichtigen, sondern auch übernachten will, hat nicht viele Möglichkeiten. Das «Le 25bis» vom Champagnerhaus Leclerc Briant sucht folglich seinesgleichen. Das kleine Hotel befindet sich gleich hinter dem Shop des individuell geführten Champagnerhauses. Im Hof sitzen die Geniesser und trinken an einem der letzten warmen Herbsttage ein Glas vom Brut-Champagner, drinnen zeigt der Empfangsmitarbeiter das gebuchte Appartement. Luxuriös ist es, Parkett und wertvolles Mobiliar, feine Bettwäsche und eine grosse Badewanne. Viel stilvoller kann man nicht übernachten – viel nachhaltiger auch nicht. Leclerc Briant ist schliesslich einer der Vorreiter des biodynamischen Weinbaus in der Champagne. Sorgfalt war hier schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als noch kaum ein Kollege über Umwelt und Nachhaltigkeit sprechen wollte, ein Thema.
Schäumende Wahrheiten und Mythen
Inzwischen machen sich immer mehr Winzer Gedanken um Weinberge und Böden. Immer mehr ernten zudem nicht nur die Trauben und liefern sie den grossen Kellereien ab, sondern bauen sie selbst zu Schaumwein aus, machen den etablierten Maisons, denen mit den prächtigen Geschäftsgebäuden in Épernay oder Reims, Konkurrenz. Winzernamen wie Selosse und Egly-Ouriet sind binnen weniger Jahre Kult geworden. Die grossen Firmen wiederum setzen auf Renommee, Erfahrung und die Reserven an alten Jahrgängen, mit denen sich die neuesten Ernten aufpeppen lassen. Ein altes Rezept, um dem Champagner eine gewisse geschmackliche Kontinuität zu verschaffen. Dass kein Jahrgang auf den Etiketten steht, bedeutet nicht, dass es an Qualität mangelt, obwohl die Jahrgangschampagner, gewonnen aus dem Ertrag einer einzigen Ernte, meist nochmals spannender ausfallen. An der Spitze der Hierarchie allerdings rangieren die Prestigecuvées, jene Spezialitäten, die oft nur in geringen Mengen auf den Markt kommen – in speziellen Flaschen, mit besonderen Namen und Etiketten. Der sogenannte Cristal von Roederer wurde zur Mutter aller Prestige-Champagner, 1876 erfunden für den russischen Zaren, der durchsichtige Flaschen erbat, um sich vor etwaigen in der Bodenwölbung versteckten Bomben zu schützen. Während diese Geschichte auf historischen Tatsachen beruht, ist jene über einen gewissen Dom Pérignon leicht übertrieben. Tatsächlich hat der Mönch den schäumenden Wein nicht erfunden, wie man immer wieder hört, ihn allerdings in seiner Entwicklung vorangetrieben. Pierre Pérignon, der Kellermeister der Abtei Hautvillers, experimentierte lange mit dickerem Glas, damit die Flaschen nicht platzen, verbesserte den Verschluss und half, den Champagner zu jenem prickelnden Getränk zu machen, als das er heute bekannt ist. Doch noch lange nach seinem Tod 1715 blieb beim Champagner das Try-and-Error-Prinzip in Kraft. Warum er manchmal prickelte und dann wieder still blieb, war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein unklar; erst Louis Pasteur erklärte die alkoholische Gärung.