Naturwunderland

Unterwegs auf den Azoren

Auf dem Weg zwischen Amerika und Portugal liegen die Azoren. Wie eine Fata Morgana, mitten im Atlantik. Eine Reise zu einem surreal anmutenden Archipel.

Reisebericht Azoren

Wir biegen in die letzte Serpentine der kurvenreichen Strasse. Hoch auf 300 Meter über Meer, zum Vulkan der Insel São Miguel und seinen beiden Seen. Einem blauen (Lagoa Azul) und einem grünen (Lagoa Verde). Wir folgen dem Versprechen eines Blickes über die ganze Insel und weit hinaus auf den Atlantik. Doch jetzt sehen wir kaum über unsere Nasen hinweg. Die Luft ist feucht und fühlt sich an wie Seide. Es ist auf den Azoren nun mal so: Man weiss nie, welches Wetter einen empfängt. Erste Lektion der Reise. Die zweite Lektion folgt sofort. Die Momente von unerwarteter, unwahrscheinlicher Schönheit, daran dürfen wir uns gewöhnen. Der Wirbel aus Grau lockert auf, die Sonne bricht wie ein Eispickel durch die Wolkendecke, ein kompletter Regenbogen durchschneidet den Nebel. Er beginnt hinter einem Strauch mit fussballgrossen Hortensien. Er endet über einem Flickenteppich aus glitzernden, grünen Feldern. Als wir wieder ins Tiefland abtauchen, gibt es noch mehr Regenbögen: kleinere, die sich über den Asphalt spannen und verschwinden, wenn wir durchfahren; doppelte, die über Kuhweiden hängen.

Wegen ihrer landschaftlichen Vielfalt und des ganzjährig milden Klimas entwickelten sich die Azoren in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Wanderreiseziel. Die Outdoor-Abenteuer-Destination gehört zu Portugal und liegt knapp 1500 Kilometer von dessen Küste entfernt. Vulkanausbrüche am Meeresboden haben neun steinerne Flecken in den Atlantik gespuckt, neun Inseln, so unterschiedlich wie die Planeten in unserem Sonnensystem. Pico mit der lavabedeckten Mondlandschaft und den Weinreben an den Hängen. Flores, die Wilde, wo Wasserfälle Hunderte von Metern über die Klippen in die Tiefe stürzen. São Miguel, die Grüne, die Grösste. Hier leben heute etwa 140'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ein gemeinsamer Nenner, der alle Inseln verbindet: Wetterunbeständigkeit. Was packen wir nur ein für eine Reise, auf der uns heisse Quellen, Wasserfälle und tropische Wälder erwarten – und Wanderwege durch schaumig-grüne Landschaften, entlang scharfen Klippen und über Vulkane? Was nehmen wir mit an einen Ort, wo das Wetter so wechselhaft ist, dass es manchmal im Minutentakt ändert?

São Miguel ist der perfekte Ausgangspunkt für Inselhopping, aber auch für sich eine ganz eigene Welt. Wir schlendern durch die Hauptstadt Ponta Delgada über schwarzes und weisses Kopfsteinpflaster, durch enge Gassen und vorbei an bunten Gebäuden – die Farbwahl könnte von einem Vorschulkind stammen. Von da brechen wir auf zum Salto do Prego. Eine relativ gemütliche, knapp dreistündige Rundwanderung führt uns zu diesem Wasserfall. Eingehüllt in feuchten, sanft wabernden Dunst, stapfen wir durch den Wald. Rufe von unsichtbaren Vögeln begleiten uns. Wilde Hühner kreuzen unseren Weg in Streicheldistanz. Tellergrosse Jamswurzelblätter streifen unsere Beine. Den Weg meistern wir mühelos, fast immer geht es geradeaus. Ein Dutzend andere Touristen und Touristinnen haben das auch geschafft und machen Fotos. Ein perfektes Instagram-Sujet. Wir wandern noch eine Stunde weiter, tiefer in den Wald über steilere, schmalere Pfade zum zweiten Wasserfall auf der Route. Nun rinnt der Schweiss. Hier sind wir allein. Wir nutzen die letzten Sonnenstrahlen, die durch den dichten Wald dringen. Wir springen in das natürliche Becken aus smaragdgrünem Wasser. Uns fällt kein Ort ein, der vom Rauschen der Welt weniger behelligt wäre.

Gemäss dem Tourismusverband Visit Azores hat sich die Zahl der Besucher seit 2014 um fast einen Viertel erhöht. Die Destination wird beliebter. Überlaufen soll sie aber nicht. Die Regierung versucht, den Ansturm mit der Begrenzung der Gastbetten zu regulieren. Grosse Hotelketten gibt es hier keine. Und was sicher seinen Teil dazu beigetragen hat, dass die Azoren nicht überrannt werden: Die Inseln sind keine Stranddestination. Reisende, die sich in den Sand legen und den ganzen Tag zuckrige Cocktails trinken wollen, sollten sich woanders umsehen. Die Strände auf den Azoren bestehen grösstenteils aus schwarzem Sand und noch schwärzerem Gestein. Das offene Meer kann rau sein. Gründe, das Badezeug einzupacken, gibt es trotzdem. Auf allen Inseln haben die Wellen kleine Naturwasserpools in die vulkanische Küste gefressen. Überall brodeln Thermalbecken mit stark eisenhaltigem Wasser – das grösste findet sich auf São Miguel im Terra Nostra Garden Hotel. An ausgewählten Orten kann man besser und ungestörter surfen als auf Indonesien. Und dann wären da die Dates mit den Delfinen. Und den Walen. Das sind «Einmal im Leben»-Momente.

Eines Nachmittags auf São Miguel steigen wir in ein Boot und fahren weit von der Küste weg. Futurismo Azores Adventure bietet solche Touren auf Pico und der Hauptinsel an. Wir fliegen über die Wellen, bis wir sie entdecken: Gemeine Delfine schiessen durchs Wasser, eine von achtundzwanzig Wal- und Delfinarten, die in diesen Gewässern leben. Wir stellen uns an den Rand des Bootes und tauchen ins Meer. Das Gleiten ins dunkle Blau unter uns hat etwas Beängstigendes. Die Delfine stören sich nicht an uns. Eine Unbekümmertheit, die auf die strengen Vorschriften der Azoren zurückzuführen ist. Es gibt spezifische Guidelines, wie man sich im und auf dem Wasser zu verhalten hat. Zum Beispiel dürfen Boote den Tieren nur eine bestimmte Zeit lang folgen. Es dürfen sich nicht mehr als drei Personen gleichzeitig im Wasser aufhalten. Wir wollen und sollen nicht stören. Diese Ruhe, diese eigene, entlegene Welt.

Und wie lebt es sich hier am Rande der Welt? Fühlt es sich nach trauriger Abgeschiedenheit oder reinigender Stille an? «Das Meer ist eine uns vereinende Kraft», sagt Eurico Silva von Visit Azores. Andere Einwohner gäben wohl andere Antworten. Zum Beispiel, dass das Meer einen auf den Inseln gefangen halte. Einheimische Philosophen und Autorinnen haben den Begriff Açorianidade, Azorianismus, geprägt. Er beschreibt das Inselleben. Er beschreibt eine Kultur, die sich (gezwungenermassen) auf das harmonische Zusammenleben mit ihrer Umgebung eingestellt hat. Und er begründet das Bestreben nach einem möglichst nachhaltigen Tourismus.

Die Azorer und Azorerinnen sind Nachkommen von Walfängern und Fischern, Winzern und Bauern, die sich ihren Lebensunterhalt aus schwarzem Stein gemeisselt haben. Der Walfang ist hierzulande Vergangenheit. Heute lebt man vom Tourismus (Portugiesisch lernt man vergebens, alle sprechen bestens Englisch) und noch immer von der Viehzucht und dem Fischfang. Das verspricht eine frische Küche. Abgesehen von den ganzen Outdooraktivitäten gibt es ja schliesslich auch das: Essen! Cozido zum Beispiel, ein in den heissen Quellen gegarter Fleischeintopf. Meeresdelikatessen wie Napfschnecken mit reichlich Knoblauch. Es gibt hier die einzige und älteste Teeplantage Europas. Und Ananasfarmen. Die Früchte schmecken, als hätte man sie in Zucker getunkt.

Wenn wir das tagsüber Gesehene abends im Bett Revue passieren lassen, können wir die surreale Schönheit kaum fassen. Mit Inselwind und Meeresrauschen im Hintergrund gleiten wir in den Schlaf. Die Eindrücke des Tages machen ihn tiefer. Kurz aufwachen. Den Regen hören. Der nächste Tag wird schön. Es gibt Regenbögen.

Anreise

Von Zürich nach Porto oder Lissabon und ab da mit Tap Portugal oder Sata Air Açores nach Ponta Delgada auf der Insel São Miguel. Die Hauptsaison dauert von Juni bis Oktober.

Check–in

Beach-Resort Santa Bárbara (São Miguel)

Schwarze Häuser, perfekt in die vulkanische Landschaft integriert und alle Zimmer mit Meerblick. Der direkte Zugang zu einem der wenigen Sandstrände der Hauptinsel hält die Instruktoren der hoteleigenen Surfschule auf Trab. DZ ab Fr. 300.–.

Weitere Infos findest du hier.

Senhora da rosa (São Miguel)

Das Hotel liegt inmitten von Palmen und Bananenstauden. Die Natur reicht beinahe ins Zimmer. Ankommen und auf der Veranda sitzen, sich dabei im Urwald wähnen oder aufheizen im Jacuzzi im Ananasgewächshaus. DZ ab Fr. 225.–.

Weitere Infos findest du hier.

Pink House (São Miguel)

In den hellen, offenen Räumen wird urtümliches Holz und Gestein mit modernen Akzenten kombiniert. Auf den zehn Hektaren Land, die die ehemalige Scheune umgeben, befinden sich Obstgärten, ein Pool und ganz viel Platz zum Atmen. DZ ab Fr. 130.–.

Weitere Infos findest du hier.

Adega Do Fogo (Pico)

Das Anwesen aus schwarzem Stein war einmal eine Brennerei – die alten Mauern stehen noch, das Innere wurde modern ausgebaut. Den Hausvulkan sieht man vom Zimmer wie vom Liegestuhl aus und als Spiegelung im Pool. Gesamte Unterkunft mit Platz für zwölf Personen für Fr. 2500.– pro Nacht. Von April bis Oktober fünf Nächte Mindestaufenthalt.

Weitere Infos findest du hier.

Entdecken

Meditieren, surfen, wandern, Wale beobachten und baden kann man auf jeder der neun Inseln. Wenn man aber schon mal mitten im Atlantik ist, lohnt es sich, etwas mehr Zeit einzuplanen und mehrere der grünen Perlen zu besuchen. Alle Inseln sind von Ponta Delgada aus per Flugzeug zu erreichen. Innerhalb des Archipels verkehren Fähren.

Fähren via Atlânticoline und Unterstützung bei der Planung via Azores Getaways.

Surfen auf São Jorge

Das kleine Dorf Santo Cristo liegt eingezwängt zwischen Bergen und Meer – kein Strom, keine Autos, kaum Menschen. Ein versteckter Surfspot, der nur über uralte Pfade entlang bewaldeter Klippen zu erreichen ist.

Wandern auf Pico

Violettes Heidekraut und grüner Farn auf einem ausserirdisch wirkenden Terrain aus gewellter, schwarzer Lava. Dampf pfeift aus den Rissen.Der Aufstieg (etwa vier Stunden und tausend Höhenmeter) zum Gipfel des höchsten Vulkans der Azoren lohnt sich.

Meditieren auf Flores

Man kann sich nicht sattsehen. Nicht an dem Netz von Wasserfällen, die über smaragdgrüne Klippen stürzen. Nicht an den japanischen Zedern, die an den Ufern wachsen. Nicht an den Nuancen aus Grün und Blau. Man wartet nur auf einen vorbeischlendernden Stegosaurus.

Wale schauen auf São Miguel und Pico

Auf den beiden Inseln bietet Futurismo Azores Adventures Touren für das Schwimmen mit Delfinen und Whale-Watching an. Die Delfine umrunden das Gebiet ganzjährig. Bei den verschiedenen Walarten lohnt sich ein Blick auf den Kalender. Für den grossen blauen reist man am besten im April oder Mai an.

Weitere Infos findest du hier.

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