Kreativschaffende sind die neuen Hoteliers

Kunst-Häuser

Hinter einer Vielzahl von spannenden Hoteleröffnungen stecken Kreative, die mit dem Gastgewerbe bisher nichts am Hut hatten. Mit künstlerischem Talent und ureigener Ästhetik bespielen sie ihre Häuser.

Hotel Corazón

Luca Guadagnino ist dafür bekannt, Welten zu kreieren, die nicht nur Figuren eine Stimme verleihen, sondern auch Orten. Lässt der italienische Filmemacher die Schauspielerin Tilda Swinton in «I Am Love» durch die Räume der Mailänder Villa Necchi Campiglio stürmen, dann wirkt der ikonische Art-déco-Bau genauso kraftvoll wie die Winde, die Swinton im Film «A Bigger Splash» auf Pantelleria entgegenwehen. Und macht die adoleszente Hautpfigur Elio in «Call Me by Your Name» ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe, dann sind es die romantisch-verlebten Zimmer der Villa Albergoni, die diese Intimität und Sanftheit unterstreichen. So schräg manche von Guadagninos Geschichten im Plot sind, so konsequent ästhetisch ihre Umsetzung. Dass Jonathan Anderson seine Filme modisch ausstattet und ihm Raf Simons als einer der Ersten zu einem neuen Werk gratuliert, illustriert die Wertschätzung der Design-Aficionados von Welt für Guadagninos Auge fürs Schöne.

Was bislang wenige wussten, ist, dass man sich die Fähigkeiten des Regisseurs, Räume zu kreieren, ins Eigenheim holen kann. 2017 gründete der 53-Jährige nämlich ein Studio für Innenarchitektur, welches sich in zeitgenössischem und Mid-Century- sowie italienischem Design spezialisiert. Im Portfolio von Studio Luca Guadagnino findet sich eine Vielzahl privater Residenzen – darunter diejenige des Yoox-Gründers Federico Marchetti und drei eigene – sowie Modeboutiquen in New York und rom. Und seit Kurzem: der Palazzo Talìa, ein neu gestaltetes Boutiquehotel in der italienischen Hauptstadt, das im Sommer dieses Jahres seine Türen öffnete.

Dahinter findet man, analog zu Guadagninos Filmkulissen, ein Haus mit eigener Identität: Bunte, grafische Teppiche ziehen sich entlang von antiken Korridoren; die Wände der Bar sind mit kleinen Paneelen aus mundgeblasenen Spiegeln verkleidet. In der Aula Magna, einem gigantischen Saal im ersten Stock des ehemaligen Schulgebäudes, stehen rosafarbene Sessel und Tische aus Lavastein – Massanfertigungen vom Team des Kreateurs selbst. Das Interieur wirkt frisch und modern, ohne dass die Seele des Hauses von zeitgenössischen Elementen verdrängt wird. «Wenn man nach Rom kommt in ein Hotel wie dieses, möchte man sich in Schönheit, Komfort und Sanftheit verlieren», so der Filmemacher zur «Financial Times». Sämtliche Elemente, darunter Farben, Licht und Texturen, mussten diese Lust also förmlich ausstrahlen. Mit Detailverliebtheit und Feingefühl hat Guadagnino dem 26-Zimmer-Palast neues Leben eingehaucht.

Der Schritt von Protagonisten aus Mode, Kunst und Kultur in die Hotellerie ist eine Tendenz, die man derzeit immer häufiger beobachten kann. Während die Eröffnung des Hotels Drei Berge vom französischen Creative Director Ramdane Touhami im Schweizer Bergdorf Mürren letztes Jahr bisüber die Landesgrenze hinaus Aufsehen erregte, laden nun auch verschiedene weitere Kreative in eigens gestaltete Hotels, Gasthäuser und BnB. Von Marrakesch bis Mallorca überfluten Bilder von hübschen Adressen unsere Instagram-Accounts und sorgen damit für stetig wachsende Reisewunschlisten.

Während der französisch-marrokanische Unternehmer Touhami dafür bekannt ist, neue Projekte nicht nur besonders gut, sondern auch besonders schnell umzusetzen, hat Designerin Laurence Leenaert ihr Riad «Rosemary» in Marrakesch mit Zeit und Bedacht entstehen lassen. Wären sie und ihr Partner nicht von der vorhergehenden Hausbesitzerin dazu ermutigt worden, ihr Anwesen in einem der ältesten Quartiere der Stadt zu übernehmen, wäre die Eröffnung eines Boutiquehotels ohnehin nie auf ihrem Plan gestanden. Nach der ersten Besichtigung des Hauses mit seinen vielen authentischen Baumerkmalen und den grenzenlosen Gestaltungsmöglichkeiten war die Belgierin aber überzeugt: In diesem Familiendomizil mit fünf Gästezimmern liesse sich etwas Einzigartiges erschaffen.

Visuell wirkt das 2023 fertiggestellte «Rosemary» in Marrakesch wie die Überleitung von Leenaerts Eigenmarke LRNCE in eine eigene Welt: Ihre Keramik-, Kunst- und Textilkreationen sind im ganzen Haus verteilt, dazu kommen Möbel, Lampen und Vertäfelungen in der für sie typisch erdigen Farbpalette, die sie zusammen mit lokalen Handwerkern anfertigte. Die Zusammenarbeit mit den Experten vor Ort sowie die Erhaltung des reichen kulturellen Erbes sind Werte, die Leenaert seit Beginn ihrer künstlerischen Praxis in Marrakesch pflegt. «Mit ‹Rosemary› haben wir Räume geschaffen, in denen Gäste unseren Lebensstil und unsere Lebenskunst erfahren können. Dieser Übergang vom Produkt zum Erlebnis beginnt, wenn sie ankommen, und dauert bis zu dem Moment, in dem sie abreisen», so die Designerin, die seit ihrem 25. Lebensjahr in der nordafrikanischen Stadt lebt und arbeitet.

Der Art, ihrer individuellen Ästhetik Ausdruck zu verleihen, hat auch Kate Bellm den Grossteil ihrer Karriere gewidmet. Als Fotografin entwickelte die Britin über Jahre eine eigene Bildsprache, die beeinflusst ist vom Aufwachsen in einer Hippiefamilie und von einem gemeinschaftlichen, freien Lebensstil. Es ist derselbe, den Bellms Hotel Corazón zelebriert: Wer die Finca im Norden Mallorcas betritt, muss laut Manifesto keine Angst davor haben, gegen Regeln zu verstossen, «weil es solche nicht gibt». Was einfach und bodenständig klingt, ist in Tat und Wahrheit eher eine Ode an den ultimativen Luxus. Bellm und ihr Partner, der Künstler Edgar Lopez, haben die fünfzehn Zimmer des Hauses, neben dem sie jahrelang residierten, luxuriös und designaffin renoviert – eiförmige Kuppelduschen, frei stehende Badewannen und massangefertigte, puderrosa Betten inklusive.

An diesem Ort der wilden Alchemie, wo man barfuss spaziert, nachts im Meer schwimmt, die Früchte von den Bäumen pflückt und sich in den Pinienwäldern des Tramuntana-Gebirges verirrt, kostet die Nacht je nach Saison ab 640 Franken. Dafür gewährt die Hausherrin ihren Gästen nicht nur Zugang zum bildschönen Landgut inklusive Restaurant, Kunstgalerie und Shop, sondern auch Zugang zu ihrem «Kleinen Buch der Inselwunder». Darin offenbart sie die besten Badeplätze, Wanderungen, Höhlen und Wasserfälle.

«Von Künstlern für Künstler», so Bellms Credo im «Corazón». Ein Leitmotiv, das dank akribisch kuratiertem Instagram-Account und ausgeklügeltem Branding die Neugier ihrer Zielgruppe weckte, lange bevor sie konkrete Eindrücke teilte. Der Blick auf die digitale Visitenkarte vermittelte ein Lebensgefühl voller Sommer und Sonnenschein, dazu Logo- und Typografie-Spielereien oder poetische Archivbilder. Sie kamen ihr in der Entstehungsphase des «Corazón» zugute. Wer den Inhabern folgte, der ahnte: Ein Haus à la Bellm und Lopez, das würde gut kommen.

Wie viel Reichweite das richtige Netzwerk sowie eine distinkte visuelle Kommunikation in Zeiten von Instagram, Tiktok und Co. erzeugen kann, dafür ist auch die Casa Lawa ein Paradebeispiel. Im bunten, perfekt pittoresken Gasthaus des Art-Directors Lukas Lewandowski unweit des Ätna treffen sich seit 2022 Taste-Maker aus Mode, Design und Gastronomie, um gemeinsam Pasta zu kochen, Sauerteigbrote zu backen und Sommerpartys mit dem Motto «Italo Disco» zu feiern. Im Zentrum stehen dabei kreative Retreats, die thematisch von lokalen wie internationalen Freunden des Hauses gehostet werden. Lewandowski, der in Amsterdam als künstlerischer Paradiesvogel stadtbekannt war, bedient sich für sein Herzensprojekt eines Adressbuchs aus aller Welt – und der Follower dieser ausgewählten Namen. Die Szenen rund um die schrullig-schöne Casa Lawa schreien nämlich geradezu danach, fotografiert zu werden – wenn auch mit spielerischer Nonchalance. Lewandowski wirkt dabei wie ein quirliger Filmregisseur, der Momente kreiert, die so schön anzuschauen sind, dass sie wie von selbst in die Welt hinausgetragen werden.

Auch seine Preise sind höher angesetzt, als man sie für ein sizilianisches Gasthaus erwarten würde: Eine Nacht in einer Suite der Casa Lawa kostet um die 500 Franken, ein Pastry-Retreat mit dreitägigem Vollprogramm knapp 3000 Franken. Im Preis enthalten sind jedoch ein Rahmenprogramm mit Yoga, Aperitivo und «Breakfast Hugs». Idealerweise kehrt man aus Sizilien nicht nur mit Zufriedenheit, sondern auch mit vollem Bauch, stimulierter Kreativität, einem neuen Hobby sowie erweitertem Freundeskreis zurück.

Während Luca Guadagninos römischer Palazzo Talìa von einer erfahrenen Hotelgruppe betrieben wird, dürfte es den Laienhoteliers Laurence Leenaert, Kate Bellm oder Lukas Lewandowski in Sachen Gastgewerbe zunächst noch an Erfahrung fehlen. Das Manko machen sie jedoch mit einer starken eigenen Identität wett, die besonders Gleichgesinnte zu schätzen wissen. Eine Möglichkeit, diese Gesamtkunstwerke zu erleben, sollte man sich also nicht entgehen lassen. Es sind schliesslich oft die Projekte interdisziplinärer Natur, die die Grenzen der Kreativität auf spannendste Art und Weise ausloten. Beim Rest macht die Übung bekanntlich den Meister.

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