Visuell wirkt das 2023 fertiggestellte «Rosemary» in Marrakesch wie die Überleitung von Leenaerts Eigenmarke LRNCE in eine eigene Welt: Ihre Keramik-, Kunst- und Textilkreationen sind im ganzen Haus verteilt, dazu kommen Möbel, Lampen und Vertäfelungen in der für sie typisch erdigen Farbpalette, die sie zusammen mit lokalen Handwerkern anfertigte. Die Zusammenarbeit mit den Experten vor Ort sowie die Erhaltung des reichen kulturellen Erbes sind Werte, die Leenaert seit Beginn ihrer künstlerischen Praxis in Marrakesch pflegt. «Mit ‹Rosemary› haben wir Räume geschaffen, in denen Gäste unseren Lebensstil und unsere Lebenskunst erfahren können. Dieser Übergang vom Produkt zum Erlebnis beginnt, wenn sie ankommen, und dauert bis zu dem Moment, in dem sie abreisen», so die Designerin, die seit ihrem 25. Lebensjahr in der nordafrikanischen Stadt lebt und arbeitet.
Der Art, ihrer individuellen Ästhetik Ausdruck zu verleihen, hat auch Kate Bellm den Grossteil ihrer Karriere gewidmet. Als Fotografin entwickelte die Britin über Jahre eine eigene Bildsprache, die beeinflusst ist vom Aufwachsen in einer Hippiefamilie und von einem gemeinschaftlichen, freien Lebensstil. Es ist derselbe, den Bellms Hotel Corazón zelebriert: Wer die Finca im Norden Mallorcas betritt, muss laut Manifesto keine Angst davor haben, gegen Regeln zu verstossen, «weil es solche nicht gibt». Was einfach und bodenständig klingt, ist in Tat und Wahrheit eher eine Ode an den ultimativen Luxus. Bellm und ihr Partner, der Künstler Edgar Lopez, haben die fünfzehn Zimmer des Hauses, neben dem sie jahrelang residierten, luxuriös und designaffin renoviert – eiförmige Kuppelduschen, frei stehende Badewannen und massangefertigte, puderrosa Betten inklusive.
An diesem Ort der wilden Alchemie, wo man barfuss spaziert, nachts im Meer schwimmt, die Früchte von den Bäumen pflückt und sich in den Pinienwäldern des Tramuntana-Gebirges verirrt, kostet die Nacht je nach Saison ab 640 Franken. Dafür gewährt die Hausherrin ihren Gästen nicht nur Zugang zum bildschönen Landgut inklusive Restaurant, Kunstgalerie und Shop, sondern auch Zugang zu ihrem «Kleinen Buch der Inselwunder». Darin offenbart sie die besten Badeplätze, Wanderungen, Höhlen und Wasserfälle.
«Von Künstlern für Künstler», so Bellms Credo im «Corazón». Ein Leitmotiv, das dank akribisch kuratiertem Instagram-Account und ausgeklügeltem Branding die Neugier ihrer Zielgruppe weckte, lange bevor sie konkrete Eindrücke teilte. Der Blick auf die digitale Visitenkarte vermittelte ein Lebensgefühl voller Sommer und Sonnenschein, dazu Logo- und Typografie-Spielereien oder poetische Archivbilder. Sie kamen ihr in der Entstehungsphase des «Corazón» zugute. Wer den Inhabern folgte, der ahnte: Ein Haus à la Bellm und Lopez, das würde gut kommen.
Wie viel Reichweite das richtige Netzwerk sowie eine distinkte visuelle Kommunikation in Zeiten von Instagram, Tiktok und Co. erzeugen kann, dafür ist auch die Casa Lawa ein Paradebeispiel. Im bunten, perfekt pittoresken Gasthaus des Art-Directors Lukas Lewandowski unweit des Ätna treffen sich seit 2022 Taste-Maker aus Mode, Design und Gastronomie, um gemeinsam Pasta zu kochen, Sauerteigbrote zu backen und Sommerpartys mit dem Motto «Italo Disco» zu feiern. Im Zentrum stehen dabei kreative Retreats, die thematisch von lokalen wie internationalen Freunden des Hauses gehostet werden. Lewandowski, der in Amsterdam als künstlerischer Paradiesvogel stadtbekannt war, bedient sich für sein Herzensprojekt eines Adressbuchs aus aller Welt – und der Follower dieser ausgewählten Namen. Die Szenen rund um die schrullig-schöne Casa Lawa schreien nämlich geradezu danach, fotografiert zu werden – wenn auch mit spielerischer Nonchalance. Lewandowski wirkt dabei wie ein quirliger Filmregisseur, der Momente kreiert, die so schön anzuschauen sind, dass sie wie von selbst in die Welt hinausgetragen werden.
Auch seine Preise sind höher angesetzt, als man sie für ein sizilianisches Gasthaus erwarten würde: Eine Nacht in einer Suite der Casa Lawa kostet um die 500 Franken, ein Pastry-Retreat mit dreitägigem Vollprogramm knapp 3000 Franken. Im Preis enthalten sind jedoch ein Rahmenprogramm mit Yoga, Aperitivo und «Breakfast Hugs». Idealerweise kehrt man aus Sizilien nicht nur mit Zufriedenheit, sondern auch mit vollem Bauch, stimulierter Kreativität, einem neuen Hobby sowie erweitertem Freundeskreis zurück.
Während Luca Guadagninos römischer Palazzo Talìa von einer erfahrenen Hotelgruppe betrieben wird, dürfte es den Laienhoteliers Laurence Leenaert, Kate Bellm oder Lukas Lewandowski in Sachen Gastgewerbe zunächst noch an Erfahrung fehlen. Das Manko machen sie jedoch mit einer starken eigenen Identität wett, die besonders Gleichgesinnte zu schätzen wissen. Eine Möglichkeit, diese Gesamtkunstwerke zu erleben, sollte man sich also nicht entgehen lassen. Es sind schliesslich oft die Projekte interdisziplinärer Natur, die die Grenzen der Kreativität auf spannendste Art und Weise ausloten. Beim Rest macht die Übung bekanntlich den Meister.