Insel mit Tiefsinn

Man sagt, den Mutigen gehöre die Welt. Also reist unsere Autorin nach Sri Lanka. Allein.

Ulpotha Im Yoga- und Ayurveda-Retreat im Landesinneren lebt man ohne Elektrizität oder warmes Wasser.

Je detaillierter ich meinem Umfeld meine Reisepläne offenlege, desto grösser wird die Verwunderung. Meine Destination würde nämlich Sri Lanka sein, meine Reise sechs Wochen lang, davon sind bloss zwei im Voraus geplant. Mein Begleiter: der Rucksack, ausgeliehen von einer Freundin, da ich mich mit diesem Wunsch tatsächlich auch selbst überrasche. Mein Abflug? In zwei Wochen.

Ich lande also an einem Freitagvormittag im Februar 2022 in der Hauptstadt Colombo und suche in einem Meer von Namensschildern meinen eigenen. Ein Chauffeur namens Sumeda würde mich vom Flughafen in den Dschungel fahren, nach Ulpotha, meinem ersten und einzig fix gebuchten Stopp. Ulpotha ist ein Yoga- und Ayurveda-Retreat im Landesinneren, fernab von Zivilisation, Wifi – und Strom. Dass Sumeda als fester Bestandteil der Community selbst dauerhaft in Ulpotha lebt, verstehe ich erst Tage später – nicht einmal die zweistündige Autofahrt oder das Gespräch zum süssesten Schwarztee meines Lebens klären seine Verbindung zum Retreat.

Urvertrauen: Darauf besinne ich mich während der Fahrt mehrmals. Sobald wir von der Hauptstrasse in Richtung Dambulla abbiegen, werden Strassen zu Landwegen, Beton zu Geröll, die Menschen weniger, der Handyempfang ebenso. Doch ich erinnere mich: Genau dafür bin ich hier.

Tatsächlich ist das Retreat im Nirgendwo ein Reset der konsequenten Art: Ich schlafe in offenen Lehmhütten, esse fast komplett vegan, gehe barfuss, bade im Natursee, fürchte mich vor Krokodilen, wasche mich mit kaltem Wasser und praktiziere jeden Tag Yoga – zweimal. Neben Vier-, Acht- und Tausendfüsslern sind meine Genossen vorwiegend Europäer. Die einen sind reich an Zeit, die anderen an Problemen. Andy aus England verlängert jede Woche aufs Neue. Lieb gewonnen habe ich ihn nach zwei Wochen dennoch.

Mein Fazit, bevor ich weiterziehe: Ulpotha muss man erleben, um es zu verstehen. Aber vor allem muss man sich darauf einlassen, um seine Schönheit zu spüren. Darauf, die Taschenlampe gegen einen Lichtschalter auszutauschen, freue ich mich trotzdem. Und ziehe weiter ins «Heritance Kandalama», um eines von vielen Hotels von meiner Bucketlist zu streichen.

Der Bau ist ein architektonisches Wunderwerk: Gezeichnet vom bekanntesten Architekten des Landes, Geoffrey Bawa, ist er derart von Kletterpflanzen überwachsen, dass er beinahe in der Natur verschwindet. Vom weitläufigen 152-Zimmer-Haus blicke ich auf einen tieforangen Sonnenuntergang sowie den Sigiriya-Felsen – den Monolith, der in Sri Lanka als achtes Weltwunder gilt. Ich erklimme ihn am nächsten Morgen.

Nach 1200 Stufen blicke ich in die Weite. Die Morgenluft ist dunstig, das Grün der Bäume matt. Ich sehe Hügel, so weit das Auge reicht, hie und da Seen und Flüsse, die sich wie Spiegel in die Landschaft einbetten. Die Strände, für deren perfekte Wellen Surfer aus der ganzen Welt anreisen, fühlen sich hier oben genauso weit weg an wie die Wirtschaftskrise, in der sich die 22-Millionen-Insel zu jenem Zeitpunkt befindet.

Ihre Auswirkung zu sehen, ist auf meiner darauffolgenden Rundreise mit Kapila, einem lokalen Driver, unvermeidbar: Als wir uns wenige Tage später in Colombo treffen und in Richtung Kandy, einer Stadt im Landesinneren, losfahren, ist unklar, wie weit wir kommen werden. In der gravierendsten Finanzkrise, seit das Land 1948 die Unabhängigkeit erlangt hat, kämpft die Bevölkerung täglich mit Strom-, Lebensmittel- und Benzinknappheit. Die Insel wurde von der Pandemie schwer getroffen, die Wirtschaft kam ohne den Tourismus weitgehend zum Erliegen. Dass ich als Besucherin meterlange Schlangen von Menschen, die seit Stunden bei Tankstellen auf Benzin warten, überspringen darf, löst in mir gleichzeitig Unbehagen und Erleichterung aus. Kapila verfolgt die vom Staat angekündigten Lieferungen täglich.

Tatsächlich schaffen wir es, unsere Route wie geplant zu fahren. Und machen als Erstes in der alten Königsstadt Kandy Halt, die 1815 von den Briten eroberte letzte Hauptstadt des singhalesischen Königreichs. Ich schlendere vorbei an Häusern im Kolonialstil und hin zum Zahntempel, einem der wichtigsten Heiligtümer des Buddhismus. In einem Schrein wird hier ein Zahn des Buddhas gelagert, was Pilger aus der ganzen Welt anzieht. Kapila führt mich anschliessend durch den botanischen Garten, ehe wir noch am selben Tag nach Nuwara Eliya aufbrechen, einer Kleinstadt inmitten von hügeligen Teeplantagen. Als wir ankommen, ist es dunkel geworden, und Kapila verabschiedet sich in die Chauffeur-Unterkunft des Hotels, in das ich einchecke. Das Essen, welches das Hotel den Fahrern zur Verfügung stellt, schmecke hier besonders gut, versichert er mir. Mein Angebot, mit mir im Hotelrestaurant zu essen, lehnt er lächelnd ab.

Die Luft in Nuwara Eliya ist kühler. Auf dem Weg in die «Stadt über den Wolken», wie die auf 1890 Metern über Meer höchstgelegene Sri Lankas auch genannt wird, kurven wir durch sattgrüne Teeplantagen. Tee ist das bedeutendste Agrargut des Landes, das wiederum zu dessen weltgrössten Exporteuren zählt. Der Name Ceylon-Tee geht auf den Namen der Insel zurück, den sie bis 1972 trug.

«In Sri Lanka zu leben, bedeutet, jeden Tag mit der Natur in Kontakt zu sein — im wahrsten Sinne des Wortes.»

– Jessica Fernando, Inhaberin «Mond» in Hiriketiya

Von der Naturvielfalt beeindruckt, stechen wir Richtung Süden – via die Stadt Ella und den Nationalpark Yala. Beide Orte versprechen spektakuläre Erlebnisse: Der Zug vom Hochland nach Ella zählt dank den nicht vorhandenen Türen zu den meistfotografierten Sujets Sri Lankas, dicht gefolgt von den Safaris, die in zwei Nationalpärken angeboten werden. Zugegeben: Um sechs Uhr morgens einen Elefanten in freier Wildbahn zu sehen, fühlt sich magisch an.

Nach einer Woche Rundreise mit Kapila beschliesse ich, den Rest meiner Zeit am Meer zu verbringen. Angekommen in der Surferoase Hiriketiya Beach, atme ich erstmals den Geruch von Salzwasser ein. Es tut gut. Im brutalistischen Boutiquehotel Mond begegne ich bereits am ersten Tag einem Stück Heimat: Die jungen Hotelbesitzer Jessica Fernando und Renato Kümin lebten in Zürich, bevor sie Sri Lanka zu ihrem Zuhause gemacht haben. Ich kann ihre Entscheidung schnell nachvollziehen: In «Hiri» fühlt sich das Leben – zumindest kurzzeitig – leichter an. Sie erklären mir aber, dass sich die Bucht stark verändert, der Tourismus jedes Jahr mehr wird. Sie denken darüber nach, mit ihrer Tochter weiterzuziehen. In die Hügel Mallorcas vielleicht.

Nach zweieinhalb Wochen Hiriketiya, gescheiterten Surflektionen und neu erlangtem Sozialleben tue ich dasselbe: Ich fahre mit dem Tuk-Tuk, dem primären Fortbewegungsmittel Sri Lankas, nach Galle an der Südwestküste. Als ich durch die Fussgängerzone von Galle Fort schlendere, realisiere ich, dass ich seit Ewigkeiten durch keine Stadt mehr spaziert bin. Ich geniesse jeden Schritt, fühle mich frei. Und lasse meine sechswöchige Reise im Hotel Amangalla Revue passieren – am schönsten Pool, in dem ich je geschwommen bin.

Tipps

Anreise

Edelweiss Air fliegt ab Zürich im Direktflug nach Colombo. Als beste Reisezeit gelten die Monate Dezember bis April.

Check-in

Srilax

Das Boutiquehotel in Colombo liegt in einer guten Gegend und hat sechs liebevoll eingerichtete Zimmer sowie ein hübsches Café im Innenhof. DZ ab Fr. 45.–, srilaxstay.com

Mond

Im brutalistischen Bau inmitten von tropischen Palmen isst man auf der Dachterrasse so gut, wie man einen Stock weiter unten mit Sicht aufs Meer schläft. Wer mehr Privatsphäre wünscht, bucht eines der dazugehörigen Baumhäuser nebenan. DZ ab Fr. 120.–, mond.lk

Amangalla

Das Townhouse im Kolonialstil ist eins von zwei Aman-Resorts auf Sri Lanka. Das Kleinod auf dem Fort in Galle ist eine Luxusoase mit 31 Zimmern, Restaurant, Spa und Bibliothek. DZ ab Fr. 725.–, aman.com

Ocean Eye

Das Privathaus, das von Hiriketiya Beach in fünfzehn Minuten zu erreichen ist, beherbergt das schwedische Eigentümerpaar sowie einige wenige Touristen. Die Zimmer mit den offenen Fenstern sind atemberaubend schön. DZ ab Fr. 60.–, oceaneyesrilanka.com

Gourmet

Paradise Road The Gallery Café

Unter dem Dach des vom Architekten Geoffrey Bawa designten Hauses in Colombo gibt es ein Restaurant, Hotelzimmer, eine Kunstgalerie und einen Shop. paradiseroad.lk

Smoke & Bitters

Das Restaurant unter freiem Himmel gleich neben dem Dickwella Beach ist beliebter Treffpunkt für Cocktails und Barbecue-Food. Plus: Freie Sicht auf den Sonnenuntergang! Instagram @smoke.bitters

Wellness

Yoga & Ayurveda Retreat Ulpotha

Back to nature: In der landwirtschaftlichen Community zählt das Co-Existieren mit der Natur als der grösste Luxus. Yoga-Retreats dauern eine oder zwei Wochen, die Ayurvedatherapien sind optional. Eine Woche ab Fr. 1750.–, ulpotha.com

Dots Bay House

Im beliebtesten Hostel Hiriketiyas trifft sich frühmorgens das ganze Dorf im Herabschauenden Hund. Eine Lektion kostet Fr. 20.–. dotsbayhouse.com

Design

Geoffrey Bawa Trust Es lohnt sich, die Bauten des Stararchitekten allesamt anzuschauen. Neben dem Hotel Heritance Kandalama sollte man Führungen oder Übernachtungen insbesondere im Home Number 11 (Privathaus in Colombo) sowie dem Lunuganga Estate (Ferienresidenz in Bentota) buchen. geoffreybawa.com

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