Es ist das Erbe der Uhrengeschichte: Bei der Entwicklung der Zeitmessung ging es vor allem darum, vorhandene Mechanismen zu miniaturisieren. Die Quarztechnologie bedeutete dabei einen Quanten- sprung. Ab den 1970er-Jahren konnten ausgesprochen kleine Uhrwerke recht unkompliziert in grossen Stückzahlen gefertigt werden – perfekt geeignet für zierliche Gehäuse. Bis heute sind Quarzuhren beliebt, bieten sie doch den Komfort, dass sie nicht täglich aufgezogen werden müssen. Selbst Patek Philippe, legendär für anspruchsvollste Mechanik, setzt bei der Damenkollektion Twenty 4 auf Quarz – seit genau einem Vierteljahrhundert. Das 25-Jahr-Jubiläum der Manschettenuhr wird mit einer Version in Gold und mit violett schimmerndem Zifferblatt gefeiert. Darüber könnte fast in Vergessenheit geraten, dass die Mechanik diesem kleinen Format in nichts nachstand. Ganz im Gegenteil – sie war ihr sogar um Längen voraus, was der bis heute aktuelle Weltrekord in Sachen Miniaturisierung beweist.
Das kleinste mechanische Uhrwerk der Welt stammt von Jaeger-LeCoultre: das Kaliber 101 aus dem Jahr 1929. Die Uhrmacher aus dem Vallée de Joux verteidigen diesen Titel seit bald hundert Jahren erfolgreich. Das rechteckige Uhrwerk ist gerade mal 14 Millimeter lang, 4,8 Millimeter breit sowie 3,4 Millimeter hoch und damit in etwa so breit wie eine Büroklammer, aber deutlich kürzer. Um auf diesem kleinen Raum all das zu vereinen, was ein Uhrwerk benötigt – ein Federhaus als Energiespeicher, eine Hemmung mitsamt Unruh und das Räderwerk –, war viel Einfallsreichtum gefragt. Die Lösung war die Anordnung der Komponenten auf zwei Ebenen; die Krone wurde auf die Rückseite der Uhr versetzt. Nicht nur die Grösse war sensationell, sondern auch das Gewicht: Das kleine Kaliber 101 wog trotz insgesamt 78 Komponenten gerade einmal ein Gramm. Das ist rund halb so viel wie ein Gummibärchen.
Damit hatte Jaeger-LeCoultre die Voraussetzung geschaffen, überaus zierliche Damenuhren zu fertigen. Das passte zur Mode der Goldenen Zwanziger, als sich die Frauen emanzipierten und ebenso wie die Männer dem neuen Trend zur Armbanduhr folgen wollten. Die Geschichte des Kalibers 101 ist übrigens bis heute aktuell: Immer wieder gibt es aussergewöhnliche Uhren, die mit dieser Miniaturmechanik ausgestattet sind. Die Masse und die Konstruktionsprinzipien des Werks sind gleich geblieben, allerdings besteht es mittlerweile aus 98 Komponenten und wurde in Bezug auf Materialien und Verarbeitung immer wieder optimiert.
Dass dieses Uhrwerk den besonderen Gelegenheiten vorbehalten ist, macht auch seine royale Vergangenheit deutlich: 1953 trug Queen Elizabeth bei ihrer Krönung eine Schmuckuhr von Jaeger-LeCoultre am Handgelenk, die ihr dezentes Format dem Kaliber 101 verdankte. Das Design dieser Uhr variiert die Manufaktur bis heute in der Linie 101 Reine. Auch die Moderne bemüht sich weiter um Miniaturisierung: Eines der kleinsten und flachsten Mechanikwerke auf dem Markt wurde jüngst von Chopard vorgestellt. Das Handaufzugskaliber 10.01-C ist für Schmuckuhren wie die L’Heure du Diamant gedacht, die kürzlich mit dem neuen Gehäusedurchmesser von 26 Millimetern Premiere hatte. Das ist erst der Anfang: Den Kleinen gehört die Zukunft.