Pierre Hardy designt bei Hermès Schuhe und Schmuck

Poet der Farben

Er arbeitet subtil wie ein Pointillist. Pierre Hardy koloriert bei Hermès Schmuck wie Schuhe meisterlich.

Pierre Hardy

Trotz der späten Stunde erscheint Pierre Hardy gut gelaunt zum Interview. Nicht alle Tage unterhält man sich mit einem Designer, der ohne Starallüren ein Haus mitprägt, das von Respekt und echter Leidenschaft für Handwerkskunst durchdrungen ist. Im nächsten Jahr feiert der Franzose 35 Jahre bei Hermès – er ist verantwortlich für das Schuhdesign und Kreativdirektor für Schmuck. Parallel dazu widmet er seine kreative Energie dem Entwerfen von Schuhen und Taschen für seine eigene Marke.

Pierre Hardys Formen sind geometrisch und strukturiert. Erst wenn er Farben kraftvoll und stürmisch einsetzt, wird jener Eklektizismus spürbar, der die Identität der aktuellen Haute-Joaillerie-Kollektion von Hermès bestimmt.

BOLERO Ihre neuste Kollektion trägt den Namen «Les Formes de la Couleur». Inspirierte Sie das Phänomen der Synästhesie, bei dem Menschen Musik zum Beispiel als Farbe oder Form wahrnehmen?

PIERRE HARDY Während meines Kunststudiums lernte ich verschiedene Farbtheorien kennen, darunter die berühmte Farbtypenlehre nach Johannes Itten, dem Bauhauspionier des frühen 20. Jahrhunderts. Itten ordnet Farben bestimmten Formen zu: Rot dem Quadrat, Gelb dem Dreieck und Blau dem Kreis. Diese Wahrnehmungsassoziationen konnten auch in Experimenten nachgewiesen werden, sie scheinen weit verbreitet und tief verwurzelt zu sein. Hat man das einmal gehört, bekommen Farben eine ganz neue, zusätzliche Qualität, verlieren aber auch etwas an ihrer Poesie.

Wie bringen Sie die Poesie zurück?

Indem ich diese Wahrnehmung in etwas Einzigartiges verwandle. So habe ich eine Reihe von Ringen in den drei Primär- und den drei Sekundärfarben geschaffen und ihnen diese archetypischen Formen – Quadrat, Kreis, Dreieck – gegeben. Um sie zu betonen, war es mir wichtig, die maximale Farbsättigung zu erreichen – auch wenn ich dafür verschiedene Steinarten kombinieren musste.

Lässt sich generell sagen, dass es Farben gibt, die wir als luxuriöser oder moderner empfinden?

Für mich gibt es keine Hierarchie unter den Farben. Es gibt Farbharmonien, die mich weniger begeistern. Und was die Frage nach der Modernität betrifft, ist es wie in der Mode: Frauen suchen heute eher nach subtilen, weniger nach formellen Optionen.

Wie designen Sie ein Haute-Joaillerie-Stück im Vergleich zu Schmuck, der in Serie hergestellt wird?

Konzeptionell betrachtet, ist es ein grosser Unterschied. Die Tatsache, dass ein Stück einzigartig ist, verändert das Spiel grundlegend. Plötzlich scheint fast alles möglich, bei Hermès noch mehr. Doch das birgt die Gefahr, dass man denkt: «Dann sollten wir es auch tun.» Auch einzelne Arbeitsschritte wie Montage oder Metallarbeiten werden kreativer und bieten mehr Raum für Experimente und Innovationen. Die Herausforderung liegt jedoch darin, wie ich mit der Zeit, den praktischen Anforderungen des Entwerfens und der Geschichte, die ich erzählen möchte, umgehe.

Wie kommunizieren Sie mit den Handwerkern in den Ateliers?

Der Grossteil meines Dialogs besteht aus Zeichnungen. Ideen lassen sich so viel einfacher und klarer erklären, sogar die Korrekturen. Eine Zeichnung lässt bei der Kommunikation keine Zweifel zu.

Wie lange brauchen Sie, um eine Zeichnung anzufertigen?

Wollen Sie eine Picasso-Antwort? Zwei Sekunden und ein ganzes Leben!

Wobei stossen Sie an Grenzen?

Beim Gewicht, bei der Schwerkraft. Insbesondere bei Ohrringen, Broschen und Halsketten. Daher muss ich eine Lösung finden, die den Schmuck so stark und spektakulär wie möglich macht, ohne diese Grenze zu überschreiten. Der Preis ist dabei nicht die Grenze.

Hermès steht für Diskretion. Die Kollektion «Les Formes de la Couleur» ist jedoch so gar nicht zurückhaltend.

Sie haben recht, das ist sie nicht. Irgendwann muss man akzeptieren, dass es sich um einen 5-Karat-Diamanten oder einen 10-Karat-Saphir als Ausgangspunkt der Kreation handelt. Ich versuche, für diesen Edelstein eine Notwendigkeit zu schaffen, warum er im Mittelpunkt stehen soll. Dabei entsteht ein Dialog zwischen dem Stein und den Elementen, die ich hinzufüge. Am Ende erklärt das gesamte Stück, warum dieser Edelstein im Zentrum platziert ist. Denn wenn man ihn austauscht, verändern sich die Form und alle Farben um ihn herum. Ich füge der Perfektion der Natur etwas hinzu, ohne ihre Schönheit zu überlagern.

Enttäuscht es Sie, wenn Ihre Kreationen nicht getragen werden?

Ich zähle mich eher zu den kontemplativen Menschen und kann deshalb gut nachvollziehen, dass jemand etwas kauft, nur um es zu betrachten. Für diese Person hat das Objekt eine zusätzliche Dimension. Die Marke spielt dabei keine Rolle. Als Designer möchte ich daran glauben, dass die Form einen eigenen Wert hat. Vielleicht klingt es prätentiös, aber ich denke, genau das ist einer der Gründe, warum wir Objekte kaufen.

Worin besteht die Magie von Schmuck?

Seltenheit. Manchmal Einzigartigkeit. Schmuck konzentriert unsichtbares, aber spürbares Know-how auf kleinstem Raum – das macht einen grossen Teil seiner Anziehungskraft aus.

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