Der grüne Diamant

Diamanten aus dem Labor gibt es seit Mitte der 1950er-Jahre. Wurden sie bisher mehrheitlich in der Industrie eingesetzt, entdecken Juweliere und Uhrmacher sie jetzt als nachhaltige Alternative zu Naturdiamanten. Lab-grown Diamonds zum Wohl von Umwelt und Mensch. Tatsächlich?

Doppelgänger Labordiamanten sind chemisch, physikalisch und optisch nicht von geschürften Steinen zu unterscheiden.

«Mind over Mined», ist auf der Website zu lesen. Loev weiss seine Philosophie in Szene zu setzen. Die 2022 gegründete Schweizer Marke gehört zu der weltweit schnell wachsenden Nische an Schmuckanbietern, die ausschliesslich Lab-grown Diamonds einsetzen. Ihre in Deutschland handgefertigten Kreationen aus Recycling-Gold sind Statementstücke, in denen Maskulines und Feminines verschmelzen. Und kühnes Design verlangt nach kühnen Ideen. «Wir fragten uns, was in Zeiten, in denen die Konsumenten verstärkt darauf achten, woher die Dinge kommen, der richtige Weg sei, um ein Schmuckunternehmen zu starten», erklärt Taryn Steinberger, Mitgründerin von Loev. «Wir waren der Meinung, dass laborgezüchtete Diamanten für den Verbraucher, der nach nachhaltigen Alternativen sucht, das beste Material sind.»

Diamanten waren immer ihres Feuers, ihrer Symbolkraft und ihres Prestiges wegen begehrt. Doch einer jungen Generation an Konsumentinnen und Konsumenten ist dies nicht mehr genug. Diamanten sollen das eigene Mindset reflektieren und genauso nachhaltig sein wie ihr Green Matcha Latte mit Biomandelmilch. Bis 2025 werden schätzungsweise zwanzig bis dreissig Prozent der weltweiten Schmuckkäufe von Nachhaltigkeitsaspekten wie Umweltbelastung und ethischen Beschaffungspraktiken beeinflusst sein. In absoluten Zahlen heisst das, Käuferinnen und Käufer wollen sich für 70 bis 110 Milliarden US-Dollar nicht nur reines Funkeln, sondern auch ein reines Gewissen kaufen. «Bei der Recherche wurde uns klar, was für ein leistungsfähiges und innovatives Material der Labordiamant ist», so Taryn Steinberger weiter. «Er erfüllt alle Kriterien im Sinne von: Man genau weiss, woher er kommt.»

Ungeachtet dessen, dass der Labordiamant durch eine Maschine erzeugt wurde und nicht durch Mutter Natur, lässt er sich nicht von einem in einer Mine geschürften Diamanten derselben Güteklasse unterscheiden – vor allem nicht für das unbewanderte Auge. In zwei bis drei Wochen unter Hitze, Druck und in Wolken von Gas und Kohlenstoff erzeugt, gleicht ein Stein dem anderen und ist chemisch, physikalisch sowie optisch identisch mit einem geförderten Edelstein. In der Regel kommen zwei Verfahren zur Anwendung: die chemische Gasphasenabscheidung (CVD) oder das Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahren (HPHT). Unmenschliche und auf den ersten Blick umweltschädliche Beschaffungspraktiken gibt es keine.

So weit, so transparent. Danach trübt sich das brillante Storytelling ein bisschen ein. Behaupten die einen, dass sie auf höchst umweltfreundlichem Weg das Licht der Welt erblicken, hört man die anderen sagen, dass die menschgemachten Steine mit enorm viel Energie hergestellt werden und die Treibhausgasemissionen beim Abbau natürlicher Steine dreimal geringer seien. Dass der vermeintlich grünere, im Labor gezüchtete Diamant für seine Entstehung enorm viel Energie benötigt, ist Tatsache. Bezüglich des Ausmasses kommen die in Auftrag gegebenen Studien jedoch lange nicht alle zum gleichen Ergebnis. Je nach Auftraggeber heisst es, ein polierter Labordiamant von einem Karat verursache 510 Kilogramm CO2-Emissionen und der Naturdiamant 160. Andere gehen davon aus, dass bei Naturdiamanten 57 Kilogramm pro Karat in die Luft gehen, bei Labordiamanten hingegen nur wenige Gramm – vorausgesetzt, es wird erneuerbare Energie eingesetzt.

Bei Lusix, einem vom Luxuskonglomerat LVMH unterstützten israelischen Unternehmen, setzt man bei der Diamantenproduktion auf erneuerbare Sonnenenergie. Die indischen Lieferanten von Loev tun dies ebenso. «Sun-grown Diamonds» ist denn auch der markenrechtlich geschützte Name, unter dem die laborgezüchteten Steine von Lusix vermarktet werden. Zugegeben, sie erhalten damit ein klein wenig Romantik und Emotion zurück. Was Kraft der Sonne wächst, kann so verkehrt ja nicht sein. «Es ist aufregend, weil es Alchemie ist. Es ist Magie», meint der Lusix-Gründer Benny Landa in einem Interview mit Calcalistech.com. «Nur geht es nicht darum, Blei in Gold zu verwandeln, sondern kohlenstoffreiches Methangas – Kuhfürze, entschuldigen Sie mein Französisch – in Diamanten.»

Labordiamanten boomen. Laut einem vom Antwerp World Diamond Centre (AWDC) in Auftrag gegebenen Bericht wächst dieses Marktsegment jährlich um fünfzehn bis zwanzig Prozent. Und waren es jüngst noch Nischenbrands, die den Trend forcierten, nutzen jetzt auch Luxusmarken den disruptiven Stein. De Beers, die 130 Jahre alte Marke, die für Naturdiamanten schlechthin steht (sie betreibt eigene Minen und erfand den unvergesslichen Werbeslogan «A diamond is forever»), setzt bei seiner Schmucklinie Lightbox auf Labordiamanten. Die Schweizer Uhrenmanufaktur Tag Heuer geht mit der Tag Heuer Carrera Plasma neue Wege in Bezug auf Technologie und Design: Neben diamantbesetztem Gehäuse und Indizes hat die Uhr ein polykristallines Diamantzifferblatt, das im Labor entstanden ist, und sogar die Krone besteht aus einem spektakulären Lab-grown Diamond. Breitling wiederum verwendet bei seinem Uhrenmodell Super Chronomat Automatic 38 Origins Labordiamanten des Typs II a, die als wertvollste und reinste Diamantenart gilt. Bis 2024 will die Marke den Übergang zu Labordiamanten im gesamten Produktportfolio vollzogen haben – Rückverfolgung zum Hersteller, hohe soziale und ökologische Standards sowie Klimaneutralität inklusive. Aurelia Figueroa, Head of Sustainability, erklärt: «Diese Umstellung, die sich seit 2020 in der Entwicklung befindet, ermöglicht die Rückverfolgbarkeit und gibt uns die Gewissheit, dass unsere im Labor gezüchteten Diamanten frei von Menschenrechtsverletzungen hergestellt werden. Gleichzeitig werden die Umweltauswirkungen des Diamantenabbaus – ob über der Erde oder auf dem Meeresgrund – beseitigt.» Bislang war die Rückverfolgbarkeit der in der Uhrmacherei verwendeten kleinen Melée-Diamanten schwierig. Diese stammen meist aus zahlreichen Quellen, was ihre Herkunftsnachweise erschwert. Bei Labordiamanten stellt sich diese Problematik nicht. Und nicht zuletzt vermarkten inzwischen auch Diamantenlabors wie das in den USA ansässige und von Leonardo DiCaprio unterstützte Unternehmen Diamond Foundry Inc. ihre Zuchtdiamanten gleich mit einer eigenen Schmuckmarke: Vrai, so der Name, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, heisst das französische Wort doch «echt».

«Das Problem bei im Labor gezüchteten Diamanten ist, dass sie zwar die gleiche Molekularstruktur haben wie die in der Erde vorkommenden Diamanten. Aber sie haben keine Geschichte, sie wurden zwei Tage zuvor hergestellt», findet Cyrille Vigneron, Präsident und CEO von Cartier, in einer 2021 von McKinsey und «Business of Fashion» veröffentlichten Schmuckstudie. «Irgendwann werden gewisse Kundinnen und Kunden wahrscheinlich zögern, natürliche Diamanten zu kaufen. Und andererseits werden viele von ihnen im Labor gezüchtete Diamanten weiter ablehnen, da diese keine Einzigartigkeit aufweisen und nicht vor Millionen von Jahren von der Erde geschaffen wurden.»

Wie macht man dieses Romantikdefizit wieder gut? Wie es scheint, ist dies gar nicht nötig. Gemäss Studien denken aktuell rund drei Viertel der Millennials über den Kauf eines Labordiamanten nach. Vergangenes Jahr fielen bereits zehn Prozent aller weltweiten Diamantverkäufe auf Labordiamanten, im Jahr 2008 waren es erst zwei Prozent. Denn Romantik hin und Umwelt her, bei der Generation Greta stösst die (Werbe-)Botschaft der umweltfreundlicheren Steine auf offene Ohren. Wer braucht schon einen natürlichen Einkaräter, um seinem Darling ein «Ja, ich will» abzuringen, wenn man sich mit besserem Gewissen und einem Bruchteil des Budgets die Toi-et-Moi-Ringe von Loev anstecken kann? Deren Design setzt einen der facettenreichsten Diamantschliffe, den Asscher-Cut, modern in Szene – und dies völlig transparent und nachverfolgbar. Die Geschichte dazu schreibt jeder selbst.

«Labordiamanten haben zwar die gleiche Molekularstruktur, aber sie haben keine Geschichte.»

– Cyrille Vigneron, Präsident und CEO von Cartier

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