Winter ist. Zeit der Husterei, Zeit der modrigen Trams. Zeit der Wollsocken, die man schon vor Jahren hätte entsorgen sollen. Die Frostigkeit und die allgemeine Düsternis da draussen können ganz schön aufs Gemüt schlagen. Wenn die Nacht über uns hereinbricht, bevor der Tag richtig begonnen hat, verfluchen wir die Götter, die uns in diese Breiten verbannt haben. Nichts zu feiern also in dieser Jahreszeit? Der ganze Marathon der Glückwünsche von Chanukka über Weihnachten bis zum Chinesischen Neujahr lässt uns abgeklärte Freizeitspirituelle eher kalt. Und in diesen kurzen Wochen bleibt kaum Zeit, sich auf die Feierlichkeit einzustimmen: Zwischen den letzten Sitzungen und der Absage der Skiferien wegen Schneemangel noch rasch ein Geschenk für das Patenkind besorgen, dann den Tofubraten einlegen, bevor man sich an der Festtafel mit der Familie zankt. Ohnehin ist uns zum Feiern nicht zumute. Die Welt geht unter, und der FC Basel hat schon wieder verloren. Was bleibt uns da noch zu feiern in diesem Jahr 2023? Wir müssen das Feiern selbst feiern. Es gibt und braucht keinen besseren Grund.
Zur Feier
Festtage wollen gefeiert werden. Stossen wir also an. Nur: worauf eigentlich?
Leider haben wir die Kunst des Feierns verlernt. Unsere Zeit hat keinen Sinn mehr für solche Rituale. Dabei brauchen wir sie doch, um die Stationen unseres Lebens zu markieren. Das christliche Mittelalter kannte noch gut achtzig Feiertage (inklusive Sonntage) pro Jahr. Bestimmte Dinge waren speziell an diesen Tagen erlaubt, andere nur dann verboten. Man verstand, dass ein Feiertag nur einer ist, wenn er sich von den anderen Tagen unterscheidet. Ein Feiertag ist etwas Besonderes, die Ausnahme der Regel. Der Anlass will also gut gewählt sein. Neben den säkularen Festen wie Geburtstag, Muttertag, Vatertag, Tag der Arbeit und dergleichen ist das Angebot eher klein. Von den kirchlichen Feiertagen des Mittelalters sind uns nur wenige erhalten geblieben. Und wenn uns dann doch mal einer im Kalender überrascht, geht er leicht im Arbeitsfluss unter. Noch kurz eine E-Mail beantwortet und über das nächste Projekt nachgedacht, und schon ist aus dem Feiertag ein Werktag geworden. Wir müssen uns also erst einmal für eine Zeit zum Feiern entscheiden. Ohne Grund, einfach so. Mit Engagement.
Wie begeht man aber einen Feiertag richtig? In Stille vielleicht. So zumindest will es das Gesetz in den Kantonen Uri, Solothurn und Obwalden. Hier gilt an hohen Feiertagen noch immer ein Tanzverbot. Lassen wir also die Beine ruhen und widmen uns zur Unterhaltung unseren Mitfeiernden. Ein Anleitungsvideo aus der Nachkriegszeit empfiehlt uns Spiele, denn «having fun together makes a party». Es ist aber fraglich, ob rhythmische Klatschspiele noch zeitgemäss sind. Und überhaupt: Die Partyepoche ist vorbei. Von den Partykellern, in denen Eigenheimbesitzer in den 1970er-Jahren ihre neidischen Nachbarn empfingen, blättert längst die Bambusverkleidung ab, und auf den Likörflaschen sammelt sich Staub. Die heutigen Zeremonienmeister laden zum gediegenen Mahl in der offenen Wohnküche. Alles sieht mühelos aus, ist aber von langer Hand geplant und sorgfältig kuratiert: Die Schwarzwurzel kommt vom Demeterhof in Stadtnähe, das Tischtuch wurde von der letzten Leinenweberin Norddeutschlands gefertigt, und sogar der Schimmel auf dem Filet soll edel sein. Letztlich braucht ein schönes Fest aber gar nicht viel: Unaufdringliche Hintergrundmusik, ausreichend gedämpftes Licht, eine Handvoll gute Freunde – et voilà, une célébration.
Diese ganzen gewundenen Gedanken führen zum eigentlichen Herz jeder Feier: dem Festtrunk. Denn was wäre ein Fest ohne ein gehobenes Glas? Das Zutrinken, das wir heute vor allem in der Form des Anstossens kennen, war in seiner langen Geschichte ein Gruss: an die Götter, an die Toten und an die Mitmenschen. Eine eigentümliche Geste, deren Bedeutung uns heute kaum mehr bewusst ist. Anstossend wünschen wir einander Gesundheit: Salud! Zum Wohl! Na Zdrowie! Und wer den Wunsch ehren will, trinkt, bevor er das Glas absetzt. Apropos: Nur das beste Glas ist es wert, dass man es seinen Liebsten ins Gesicht streckt. Die Glasbläserei ist ein altes, ungesundes und unterstützenswertes Hand-
werk. Wer es sich leisten kann, findet zum Beispiel handbemalte klassische Glasware bei Lobmeyr, viktorianisch geschliffene bei Royal Brierley oder schlicht elegante bei Kimura. Andernfalls lässt sich leicht das alte Kristall von der Grossmama oder vom Brocki entstauben und entkalken. Die entscheidende Frage betrifft dann nur noch das Getränk: Welcher Tropfen ist einem richtigen Fest angemessen?
Kein Weg führt vorbei am Champagner, dem luxuriösesten aller Festgetränke. Die Assoziation des Perlweins mit Festivitäten geht auf das 9. Jahrhundert zurück, als französische Könige erstmals in der Stadt Reims gekrönt wurden. Zu den Feierlichkeiten wurde lokaler Wein aus der Champagne-Region ausgeschenkt, wodurch besagter Champagner im ganzen Land bekannt und 1654 zum offiziellen Wein der Krönungen am französischen Hof erklärt wurde. Wem der Schaumwein allein zu schwach ist, darf ihm mit Gin, Zitronensaft und Zucker das nötige Feuer geben. French 75 nennt sich ein Mischgetränk dieser Rezeptur aus der Zeit der Prohibition: Benannt nach einem 75-Millimeter-Feldgeschütz der französischen Armee, wurde der Cocktail nach dem Ersten Weltkrieg zum Klassiker.
Wer sich gar nicht zu den Verehrern von Perlweinen zählt, dem seien einige alternative Festgetränke ans Herz gelegt. Empfänger von grosszügigen Boni sollten sich zu Silvester einen Millionaire gönnen. Der Cocktail strahlt nicht nur Erfolg aus, sondern passt auch vorzüglich zur Saison: Er vereint wärmenden Bourbon mit dem Geschmack von Granatapfel und Orange. Letzteres dabei in Form von Likör, was bei mir Kindheitserinnerungen auslöst. Keine andere Flasche in der verspiegelten Hausbar war so verheissungsvoll wie diejenige mit dem roten Band und dem weiss-braunen Etikett, auf dem in Frakturschrift stand: Grand Marnier. Zauberei war das, wenn die Crêpe Suzette nach einem Gutsch dieser Flüssigkeit in Flammen aufging. So schmeckt der Winter!
Und er schmeckt nach Zimt, Gewürznelken und Sternanis. Im Mittelalter aromatisierten Adlige mit wertvollen Gewürzen aus Übersee ihren Wein, der für sich allein kaum geniessbar war. Hypocras nannte sich das damals. Die Gewürze haben ihre Exotik verloren, die Tradition ist geblieben: In Basel wird am Neujahrstag noch immer Hypocras getrunken. Der Brauch bietet eine gute Gelegenheit, zu Silvester den Gewürzschrank zu plündern und den sauren Wein zu verwerten. Und wer ein Dutzend Eier im Kühlschrank findet, kann sich gleich noch an ein Feiertagsgetränk aus Zentralamerika wagen: den Rompope. Er wird in Mexiko zu jeder Art von Festlichkeit getrunken und ist nahe verwandt mit dem Eggnog und dem Eierlikör. In seiner einfachen Variante besteht der Rompope aus Eiern, Milch, Zucker, Zimt und Rum. Durch Zugabe von Mandeln erhält das Getränk zudem eine feine Marzipannote. Die Zubereitung ist relativ aufwendig, doch die Vorbereitung ist bekanntlich das Vorspiel der Feier.
Sie können also kommen, diese Festtage, wir sind bereit. Lasst uns feiern! Nicht weil es einen guten Grund gibt, sondern einfach so. Zelebrieren wir all unsere Laster – bevor wir ihnen zum Jahresbeginn wieder abschwören.
Die festliche Hausbar
Dom Pérignon
Der Mönch und Kellermeister Dom Pérignon gilt als Erfinder des Champagners, wie wir ihn heute kennen. Seine typischen Perlen erhielt der Wein erst im 17. Jahrhundert, davor schäumte er nicht. Der Legende nach soll Dom Pérignon, als er zum ersten Mal vom Schaumwein kostete, ausgerufen haben: «Kommt schnell, ich schmecke Sterne!» Der Ruhm seiner Erfindung lebt bis heute im Namen der Marke fort. Ihren Champagner für einen French-75-Cocktail zu verwenden, wäre ein Sakrileg. Um die Seele des Mönchs zu schonen, nimmt man für Mischgetränke lieber einen einfachen Sekt.
Grand Marnier
Der französische Likör mit fast 200 Jahren Geschichte wird aus der Bitterorange hergestellt, der aromatischsten aller Orangensorten. Die Frucht der Götter und Königinnen war bei den Griechen und Römern als «goldener Apfel der Hesperiden» bekannt und als Zier- und Heilpflanze begehrt. Ihre Würze gibt dem Grand Marnier seine winterliche Note. Sie wird komplementiert durch den Cognac, der die alkoholische Basis bildet und dem Likör eine süsse Wärme verleiht. Grand Marnier passt in eine ganze Reihe klassischer Cocktails: Brandy Crusta, Cosmopolitan, Mai Tai, Margarita und Millionaire.
Appleton Estate
Die Destillerie auf Jamaika gehört zu den renommiertesten der Welt. Seit 1749 wird auf dem Anwesen «Appleton Estate» Rum aus Zuckerrohrmelasse gebrannt. Jamaikanische Rums gelten als diejenigen mit dem meisten «funk»: Sie haben den intensiven Geschmack überreifer Früchte. Diese Charakterstärke ist nötig, um all den Gewürzen im Rompope standzuhalten. Alle Sorten des Appleton Estate sind aber auch für sich allein köstlich. Fassreifungen von bis zu 21 Jahren nehmen dem Alkohol den Biss. Mit einem Glas süssen Rum vor dem Weihnachtsbaum kommt man ins Träumen – von Ferien in der Karibik.