Stefanie Hessler vom Swiss Institute in New York im Interview

Experiment und Diskurs

1986 wurde das Swiss Institute in New York von einer Gruppe kunstbegeisterter Schweizer gegründet. Seit gut zwei Jahren ist die Deutsche Stefanie Hessler dessen Direktorin.

Angekommen

Obwohl der August vorbei ist, herrscht in New York das schönste Sommerwetter. Die lachsfarbene Backsteinfassade des Swiss Institute (SI) an der Ecke Saint Marks Place und 2nd Avenue strahlt in der Sonne, der Verkehr rollt. Drinnen ist es ruhig, und die Klimaanlage drückt die Temperatur in den Ausstellungsräumen um mindestens zehn Grad. Auf dem Tisch in der Bibliothek im ersten Stock stehen ein Kaffee und ein Matcha, iced. Die nächsten eineinhalb Stunden hat sich Stefanie Hessler in ihrem Terminkalender abgestrichen, um uns Rede und Antwort zu stehen. Seit fast zweieinhalb Jahren ist die Deutsche nun die Direktorin des SI. Wir möchten von der 37-jährigen Kuratorin wissen, welche Rolle ihre Institution an diesem Ort einnimmt, an dem so viele Künstler, Museen und Galerien zu Hause sind, wie wichtig Schweizer Kunst für sie ist und an welchen Ausstellungen sie gerade arbeitet. Wir erfahren: Sie möchte die Stadt ein wenig nachhaltiger machen, aber vor allem Projekte zeigen, die Position beziehen und entdeckt werden wollen. Na dann.

BOLERO Sie kommen gerade aus den Ferien zurück. Wo waren Sie?

STEFANIE HESSLER Ich hatte eigentlich keine richtigen Ferien. Ich war mit meiner Frau Brittany Nelson in Virginia. Sie ist Künstlerin und unterrichtet dort an der University of Richmond. Wir mussten ihr Haus räumen, weil wir entschieden haben, es unterzuvermieten. Gleichzeitig habe ich mir eine kleine Auszeit zum Schreiben genommen. Hier in New York ist das immer sehr schwierig. Ich konnte einige Recherchen vertiefen und an den Texten für unsere neue Ausstellung «Energies», arbeiten.

Sie haben im Sommer 2020 in Norwegen geheiratet.

Ja, mitten in der Pandemie. Ich habe dort fast drei Jahre lang die Kunsthalle Trondheim geleitet. Als zweite Direktorin dieser noch jungen Institution hatte ich die Möglichkeit, etwas ganz Neues aufzubauen. Mein Programm hat viel Aufmerksamkeit erhalten.

Heute leben Sie in New York. Was für ein Kontrast! Hätten Sie sich das damals vorstellen können?

New York war immer mein Ziel. Die Stadt ist einfach unglaublich interessant. Hier leben so viele spannende Künstler und Künstlerinnen, hier ist so viel Energie. Ich wollte ein Teil davon sein, auch etwas dazu beitragen. Als die Stelle im Swiss Institute ausgeschrieben war, habe ich mich einfach beworben. Es ging nicht darum, von Trondheim wegzugehen, sondern hier zu sein.

Und, fühlen Sie sich angekommen?

Ich bin jetzt über zwei Jahre in New York, und mein Programm läuft seit eineinhalb Jahren. Ja, ich habe mich wirklich gut eingelebt.

Mit welchen Vorsätzen haben Sie Ihre Stelle angetreten?

Ich hatte schon in meiner Bewerbung vorgeschlagen, dass wir uns auf ökologische Fragen konzentrieren sollten. Dabei meine ich die Ökologie nicht nur im Sinne von Natur, die getrennt von der Kultur wahrgenommen und verstanden wird. Ich möchte Kultur und Natur gemeinsam betrachten und überlegen, wie kleine bis mittelgrosse Institutionen in Zeiten des Klimawandels funktionieren können. Gerade hier in New York setzen sich noch nicht viele Kunst- oder Kulturinstitutionen mit diesem Thema auseinander.

Geht es beim SI jetzt nur noch ums Klima?

Nein, das SI ist viel breiter aufgestellt. Für mich ist es wichtig, die kuratorischen und institutionellen Prozesse und Strategien anders zu entwickeln und auch Künstler und Künstlerinnen dazu einzuladen. Mich interessiert einerseits die Klimakrise, aber auch all die anderen Themen, die damit zusammenhängen. Gesellschaftliche, soziale und philosophische Fragen, Fragen der Ökonomie und der Technologie. Auch künstliche Intelligenz gehört dazu. Zum einen kann man mit ihr Antworten oder mögliche Lösungen entwickeln, zum anderen verbraucht sie unglaublich viel Energie.

Was heisst das praktisch?

Ich habe mit meinem Team einen Acht-Punkte-Plan entwickelt für Massnahmen in Bereichen wie Transport, Energie, Abfall oder Reisen. Hier geht es tatsächlich darum, unsere CO2-Emissionen zu reduzieren. Wenn wir zum Beispiel eine Ausstellung organisieren, dann schauen wir, dass wir weniger Materialien verwenden und dass wir die Materialien später an andere Organisationen spenden, damit sie weiter benutzt werden. Auch Künstler und Künstlerinnen sind eingeladen, den «8 × 8 Plan», der übrigens auch veröffentlicht ist, gemeinsam mit uns zu gestalten. Für CO2-Emissionen, die sich trotz unseren Massnahmen nicht vermeiden lassen, unterstützen wir strategische Klimafonds. Wir wollen damit zum Diskurs beitragen und andere inspirieren.

Welche Bedeutung hat das für die Kunst, die Sie zeigen?

Das ist die andere Seite. Unsere Ausstellung «Spora», eines meiner ersten Projekte im SI, das noch bis Ende 2025 läuft, nähert sich dem Thema kreativ, kuratorisch und künstlerisch. Zum Beispiel hat die Künstlerin Helen Mirra eine Arbeit für unser Treppenhaus entwickelt und die Wände mit Restfarben vergangener Projekte bemalt. Dazu gibt sie Anweisungen, wie diese Farbskala in Zukunft auch in anderen Bereichen eingesetzt werden soll. Das Werk der Finnin Jenna Sutela ist von der «Muppet Show» inspiriert. Dort gab es die Figur Marjory, ein grosser Müllhaufen, der im Abfall Informationen findet und zum Orakel wird. Auf unserer Dachterrasse steht nun eine Kompostskulptur, in der die Essensreste unseres Teams deponiert werden. Hunderte von Würmern und elektrochemische Prozesse erzeugen damit Hitze und Energie, die einen Lautsprecher speisen, der dann Orakelsprüche verkündet.

Das SI befindet sich seit 2018 in einer ehemaligen Bank, die von der Architektin Annabelle Selldorf renoviert und neu konzipiert wurde. Vermissen Sie das Museale?

Im Gegenteil. Ich finde es sogar gut, dass wir ein Gebäude haben, das nicht als Museum gebaut wurde. Wir sind hier ja im East Village am Saint Marks Place, einer Strasse mit viel Geschichte und einigen sonderbaren Ecken. So ist es auch bei uns. Man kann auf Entdeckungstour gehen. In allen Räumen und Ecken der Institution ist Kunst zu sehen, und wir sind komplett barrierefrei. Man darf sich Zeit nehmen und sich mit dem Ort auseinandersetzen.

Was erwartet einen dann?

Im Untergeschoss zeigen wir in erster Linie Projektausstellungen. Das heisst, ein Künstler oder eine Künstlerin setzt eine Idee um. Das Erdgeschoss mit einem begehbaren Tresor und der erste Stock, wo auch die Bibliothek ist, in der wir gerade sitzen, sind für unsere Hauptausstellungen reserviert. Aber manchmal belegen wir auch das ganze Haus mit einer Sammelausstellung, so wie jetzt bei «Energies». Die Kunst ist einfach überall, sogar im rosa Aufzug, einem Werk von Pamela Rosenkranz.

Das SI stellt Kunst aus, hat aber keine eigene Sammlung. Wie würden Sie sich im hiesigen Kunstbetrieb einordnen?

Wir wurden 1986 als Non-Profit-Organisation von Schweizern gegründet, um eine Brücke zu schlagen zwischen den USA und der Schweiz. Ich würde uns am ehesten mit einer Kunsthalle vergleichen. Ich finde dieses europäische Modell auch besonders interessant, weil man ohne Sammlungsauftrag die aktuellsten Positionen der zeitgenössischen Kunst zeigen kann. So sind wir in der Lage, flexibel und schnell zu reagieren.

Dann sind Sie besonders auf die Zusammenarbeit mit Künstlern und Galerien angewiesen.

Richtig, der direkte Austausch mit Künstlern und Künstlerinnen ist sehr wichtig. Gemeinsam mit meinem kuratorischen Team überlege ich, welche Ausstellungen wir über das gesamte Jahr zeigen wollen. Dann laden wir Künstler und Künstlerinnen dazu ein und schauen, wie wir sie unterstützen können. Wir ermöglichen neue Kunstwerke und Projekte und führen kuratorisch einen Dialog über einen längeren Zeitraum hinweg. Für mich als Kuratorin ist es zudem wichtig, nicht nur die Arbeiten zu zeigen, sondern auch über die Räume nachzudenken, in denen sie gezeigt werden.

Wie unterscheidet sich das SI von anderen Institutionen hier in New York?

Es ist der internationale Fokus und der sehr experimentelle Charakter der Ausstellungen. Oft passiert es, dass das MoMA oder andere grosse Museen Künstler und Künstlerinnen durch uns entdecken. Zum Beispiel haben wir vor ein paar Jahren eine Ausstellung mit Sandra Mujinga gemacht. Das hat dazu geführt, dass sie in der Stadt in weiteren Schauen gezeigt wurde und dass ihre Arbeit nun in Sammlungen und Institutionen vertreten ist. Wir unterstützen sowohl junge Künstler und Künstlerinnen als auch Positionen, die bisher nicht die Anerkennung erhalten haben, die sie verdienen. Oftmals organisiert das SI die erste Einzelausstellung von Künstlern und Künstlerinnen in den USA und stellt sie einem neuen Publikum vor.

Sandra Mujinga ist eine norwegisch-kongolesische Künstlerin. Welchen Stellenwert hat die Schweizer Kunst für das SI?

Wir zeigen sowohl internationale als auch Schweizer Kunst. In der Vergangenheit gab es Einzelausstellungen mit Schweizer Künstlern und Künstlerinnen wie Niele Toroni, Latifa Echakhch, Nicolas Party, Urs Fischer, Ugo Rondinone oder Sylvie Fleury. Wir waren immer ein Sprungbrett, und das wird auch so bleiben. Andererseits leben wir in einer globalisierten Welt, und Schweizer Künstler und Künstlerinnen produzieren und agieren in einem internationalen Umfeld. Darum wolIen wir deren Positionen auch in einem grösseren Kontext zeigen. Unsere letzte Schau war mit der chinesischen in Genf und Berlin lebenden Künstlerin Shuang Li, und im Januar 2025 bringen wir den südafrikanischen Künstler Nolan Oswald Dennis. Man kann zeitgenössische Kunst besser verstehen, wenn man einen holistischen Ansatz verfolgt.

Ungewöhnlich viele bekannte Künstler, Kuratoren und Sammler sind Schweizer. Wie erklären Sie sich das?

In der Schweiz existiert ein tiefer Glaube an die Wichtigkeit der Kunst. Es gibt tolle Institutionen, international bedeutende Museen und einflussreiche Figuren. Wenn eine gesunde und aktive Kunstszene Künstler und Künstlerinnen fördert und unterstützt, dann macht sich das auch international bemerkbar.

Kunst ist wie alles im Leben Geschmackssache. Wer prägt die Ausrichtung des SI?

Unser Verwaltungsrat ist für die Struktur der Organisation verantwortlich und wählt den Direktor oder die Direktorin aus. Diese Person hat dann die Möglichkeit, das Institut künstlerisch und inhaltlich zu gestalten. Mein grossartiges Team, darunter unsere Senior-Kuratorin Alison Coplan und unsere Direktorin für Partnerschaften Mojdeh Cutter, und ich entwickeln gemeinsam innovative Ideen für Ausstellungen, aber auch kreative neue Formate wie unsere Uhrenauktion Time for Art, die im Dezember mit Phillips New York stattfindet.

Wie finanziert sich das SI?

Hauptsächlichdurch private Zuwendungen. Die Gelder von Pro Helvetia machen leider nur noch etwa vierzehn Prozent unseres Gesamtbudgets aus. Dafür konnten wir amerikanische Stiftungen gewinnen. Die nächste Ausstellung wird von der Terra Foundation, der Graham Foundation, der Teiger Foundation und der Frankenthaler Foundation unterstützt. Ein weiterer Sponsor ist auch die Warhol Foundation. Und dann organisieren wir jeden Winter eine grosse Gala, mit der wir durch den Ticketverkauf und eine Kunstauktion Fundraising betreiben.

Wie hoch ist Ihr Budget?

Um die vier Millionen. Jeder kann die genauen Zahlen im Internet nachlesen.

Lassen Sie uns über die neue Ausstellung «Energies» sprechen. Um was geht es?

Die Idee dazu kommt von einer Nachbarschaftsgeschichte der 1970er-Jahre, als eine Gruppe von Personen zusammenkam, um sich mit Fragen zu Wohnungsbau, Gentrifizierung und nachhaltigen Energien auseinanderzusetzen. Sie haben auf einem Gebäude unweit von hier, in der elften Strasse, eine Windturbine und Solarzellen installiert. Das hat dann dazu beigetragen, dass in den USA ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das die Gewinnung von grüner Energie ermöglichte. Als ich auf diese Initiative gestossen bin, habe ich die Leute kontaktiert, die damals involviert waren, und sie interviewt. Das war unglaublich spannend. Man kann wirklich etwas verändern, wenn man zusammenkommt und positiv und zukunftsorientiert denkt.

Die historische Geschichte ist aber nur der Aufhänger für die Ausstellung.

Genau. Wir haben neunzehn Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die sich mit dem Thema Energie auseinandersetzen. Ihre Projekte werden hier im Gebäude und in der Umgebung gezeigt. Zum Beispiel wird es auf der Dachterrasse eine Arbeit von Haroon Mirza geben, der mit seinen Solarzellen eine andere Installation in den Innenräumen mit Strom versorgt. Am Haus, wo die Windturbine war, wird die nigerianische Künstlerin Otobong Nkanga eine neue Wandarbeit realisieren. Das passt so gut, weil sich ihr Werk mit Ressourcen, Ausbeutung und Community auseinandersetzt. Wir haben aber auch einige historische Positionen, etwa die von Gordon Matta-Clark. Der Künstler und Architekt, der auch in der Nachbarschaft wohnte, pflanzte 1972 einen Rosenbusch im Garten der Saint Mark’s Church. Weil davon aber nur noch eine Metallstruktur übrig ist, werden wir zusammen mit dem Estate und der Witwe von Matta-Clark eine neue Rose pflanzen. Dazu bringen wir ein Schild an, das diese Geschichte erzählt. Eine andere historische Arbeit ist von der Künstlerin Becky Howland, einer der Organisatorinnen der legendären Real Estate Show, die 1980 ein leer stehendes Haus in der Lower East Side besetzte.

Bietet «Energies» denn auch Lösungsvorschläge an, wie sich die Stadt verändern könnte?

Wir planen eine Publikation, basierend auf einem Symposium, das wir den ganzen Herbst hindurch organisieren. Dieses Buch wird nächstes Jahr herauskommen. Zum Beispiel hat sich der indigene norwegische Künstler Joar Nango mit der Architektur seiner Vorfahren beschäftigt. Die Samen bauten früher Fenster aus getrockneten Fischmägen. Dieses Material benutzt er nun für eine Installation und stellt damit die Frage, ob immer alles neu erfunden werden muss. Die Schweizer Künstlerin Gina Folly zeigt Fotografien einer schwimmenden, mit nachhaltiger Energie versorgten Plattform mit Milchkühen im Rotterdamer Hafen und Louisa Gagliardi eine digitale Malerei, die eine Scheune abbildet, die aussieht, als wäre sie in die Architektur des SI integriert. Ein anderes Projekt von Cannupa Hanska Luger imaginiert, dass Solarenergie mit Spiegeln auf den Dächern der Stadt geteilt werden könnte. Das ist sehr interessant, weil es sich mit dem Konzept von Shared Energy beschäftigt.

Ist das nicht alles sehr vage?

Es geht ja nicht in erster Linie darum, Lösungen zu finden. Die Rolle eines Künstlers ist es, Themen anzusprechen und neue Ideen aufzuwerfen. Dieser spekulative Ansatz ist auch der Grund dafür, warum ich in die Kunstwelt gekommen bin. Hier können Fragen gestellt werden, ohne dass man sich mit finalen Antworten zufriedengeben muss.

Welche Rolle spielt die Ästhetik?

Sie ist unglaublich wichtig. Wir sind ästhetische Wesen und nehmen die Welt durch unsere Sinne wahr. Visuelle Kunst bietet eine andere ästhetische Erfahrung als zum Beispiel die Literatur. Sie spricht zu einem, selbst wenn jemand nicht besonders viel über Kunst weiss und vielleicht zum ersten Mal in ein Museum geht.

In unserer stark polarisierten Gesellschaft wird es immer schwieriger, öffentlich Stellung zu beziehen. Beeinflusst das Ihre Arbeit?

Kunst ist politisch wie jedes andere gesellschaftliche Feld auch. Für uns als Institution ist es darum zentral, ganz unterschiedliche Meinungen und Standpunkte zuzulassen. Wir wollen ein Ort sein, an dem Menschen mit verschiedener Herkunft zusammenkommen und den Dialog aufrechterhalten. Genau das macht die Kunst heute so bedeutungsvoll.

«Energies», Swiss Institute, New York, bis 5. Januar 2025.

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