War der Ukraine-Krieg ein Thema?
Die Installation im ukrainischen Pavillon bekam viel Aufmerksamkeit, und auch im Vorfeld gab es Reaktionen. So hat ein Sammler, den ich gut kenne, ein geplantes Dinner abgesagt und das Geld gespendet.
Warum ist es für die Kunstwelt so wichtig, in Venedig zusammenzukommen?
Die Biennale ist eine der grössten Kunstplattformen weltweit. Man muss da sein und sich informieren. Man will mit den Leuten sprechen, und alle wollen wissen, was man denkt und was man gesehen hat.
Was bedeutet es für die Karriere eines Künstlers, wenn er hier gezeigt wird?
Es ist eine grosse Ehre und ein ganz wichtiger Moment in seinem Lebenslauf. Auch für einen Kurator ist es toll, wenn er an der Biennale ausstellen kann. Eigentlich arbeiten alle darauf hin.
Hat man als Galerist Einfluss darauf, welche Künstler in den grossen Ausstellungen und Museen gezeigt werden?
Es sind die Kuratoren, die entscheiden, was gezeigt wird. Sie wissen meist ganz genau, was sie wollen. Aber wir suchen stets den Dialog. Unsere Aufgabe ist es, Kuratoren und auch Sammler konstant über unser Programm zu informieren, über Dinge, von denen wir denken, sie könnten von Interesse und Relevanz sein. Unsere Arbeit spiegelt einen langfristigen Ansatz wider. Wir vertreten unsere Künstler auf dem Kunstmarkt, unterstreichen ihre Bedeutung für die Wissenschaft und bemühen uns um Präsenz in den Museen. Mit unseren eigenen Ausstellungen und Publikationen möchten wir ein vielfältiges, internationales Publikum für unsere Künstler und Nachlässe erschliessen. Gute Beziehungen zu Institutionen und Sammlern sind der Kern dieser Tätigkeit.
Wie ist die Zusammenarbeit mit den Künstlern?
Wir stehen im konstanten Austausch. Bei Hauser & Wirth gibt es immer zwei Personen, die sich um einen Künstler kümmern: den Künstlerbetreuer und die Verkaufsperson. Als Verkäufer gehe ich regelmässig in die Studios. Für mich ist es wichtig, zu wissen, was läuft, damit ich mein Sales-Team informieren kann. Wenn ein Künstler zum Beispiel einen neuen Werkzyklus gemacht hat, muss ich darüber erzählen können. Manchmal organisiere ich auch Studiobesuche für Kuratoren oder Sammler. In Amerika ist das gang und gäbe.
«Man muss Künstler aus einer 360-Grad-Perspektive betrachten.» – Barbara Corti, Partner bei Hauser & Wirth
In den letzten Jahren hat Hauser & Wirth auch die Vertretung von Nachlässen bedeutender verstorbener Künstler übernommen. Wie wichtig ist es, sogenannte Estates zu verwalten und zu bewirtschaften?
Diese Arbeit stellt die Fortsetzung des Lebenswerks eines Künstlers dar. Dazu sehen wir uns verpflichtet, wenn wir mit einem Künstler schon zu Lebzeiten zusammengearbeitet haben, aber auch, wenn wir einen Estate erst Jahre nach dem Tod übernehmen.
Ein prominentes Beispiel ist der 1980 verstorbene amerikanische Maler Philip Guston.
Sein Werk wurde uns von seiner Tochter anvertraut. Wir haben viel recherchiert und uns ganz genau überlegt, wie wir das Fundament aufbauen wollen. Unsere erste Ausstellung mit Guston war 2016 in unserer Galerie in New York. Damals kannte man eher seine figurativen Gemälde. Wir haben uns aber ganz bewusst dafür entschieden, sein abstraktes Werk zu zeigen, und haben auch einen Katalog dazu gemacht. Der Zeitpunkt war perfekt.
Dann ist man als Galerie auch bereit, zu investieren?
Absolut. Es ist nicht immer der wirtschaftliche Erfolg, der zählt. Der Bildungsansatz hat bei Hauser & Wirth Tradition. Das dokumentieren schon die Ausstellungen der eigenen Sammlung in der Lokremise in St. Gallen. Zu unserem Programm gehören auch viele Führungen, damit die Kunst, die wir zeigen, für jedermann zugänglich ist. In den Galerien in England gibt es zudem Aktivitäten für Kinder, in Amerika arbeiten wir eng mit Schulen zusammen. Dort sind Galerien immer gut besucht. Die Leute haben keine Schwellenangst, sie kommen spontan vorbei. Das würde ich mir auch für die Schweiz wünschen.
«Es geht nicht nur ums Verkaufen. Das wäre zu flach.» – Barbara Corti, Partner bei Hauser & Wirth
Was macht Hauser & Wirth anders als andere Galerien?
Ich finde, man spürt, dass wir ein Familienunternehmen sind. Das besondere Interesse an Künstlerinnen kommt von Ursula Hauser, die von Anfang an gezielt Frauenpositionen gesammelt hat – und natürlich auch von ihrer Tochter Manuela. Ihr Engagement gehört zu unserer DNA. Auch Iwan Wirth hat sich diese konstante Neugierde bewahrt. Er hat nie genug, macht es sich nie bequem, sieht immer wieder neues Potenzial.
Wann begann die internationale Expansion der Galerie?
2003 wurde Hauser & Wirth London eröffnet, in einem ehemaligen Bankgebäude beim Piccadilly Circus. Dann hatten wir eine Zeit lang die Coppermill, ein altes Lagerhaus, und 2014 kam das Farmhouse in Somerset dazu. In New York begannen wir 2008 an der 69. Strasse unter der Direktion von Marc Payot. 2013 fanden wir einen zweiten Standort in der ehemaligen Disco und Rollschuhhalle Roxy. Zur Eröffnung haben wir Dieter Roth gezeigt mit dem Nachbau seiner legendären Bar – eine klare Schweizer Position. Ich wurde Direktorin der Galerie und habe sie auch nach dem Umzug ins Dia-Gebäude bis 2020 geleitet.
Während Corona sind Sie zurück in die Schweiz gezogen. Vermissen Sie New York?
Sehr, vor allem diese «Let’s make it work»-Attitüde. Es gibt kein Problem, das man nicht lösen kann. Auch den kulturellen Mix empfand ich immer als bereichernd. Du gehst auf die Strasse und erlebst die lustigsten Situationen. Die Leute sprechen dich an und machen Komplimente. So habe ich stark an Selbstvertrauen gewonnen. Aber die Stadt kann auf Dauer sehr ermüdend sein. Hier in Zürich habe ich wieder zu meiner Mitte gefunden.
Welche Akzente möchten Sie in der Schweiz setzen?
Ich wünsche mir ein ganzheitliches Konzept für alle Standorte. Neben unseren zwei Galerien in Zürich, einem Space in St. Moritz und dem Chalet in Gstaad haben wir auch einen eigenen Verlag. Man soll spüren, dass das eins ist. Neu möchten wir in Zürich den Bildungsbereich verstärken und entsprechende Veranstaltungen anbieten. Das Löwenbräu ist so ein grosses Areal, da könnte viel mehr passieren.
Welchen Rat würden Sie jemandem geben, der in Kunst investieren möchte?
Das Wichtigste ist, dass man nur Kunstwerke oder Künstler sammelt, die man selbst mag und bewundert. Darum sollte man viel recherchieren und die eigenen ästhetischen und inhaltlichen Präferenzen kennenlernen. Je mehr Kunst man anschaut, desto besser.
Ist ein Sammlungsthema hilfreich?
Für manche ist es hilfreich. Andere kommen schnell an einen Punkt, wo die Sammlung zu fokussiert wird. Dann muss man vielleicht einige Bilder wegräumen – und entdeckt sie möglicherweise ein paar Jahre später neu. Ich arbeite mit einer Sammlerin, die ich schon lange kenne. Wenn sie an einem Werk interessiert ist, schauen wir zusammen, wo in ihrer Wohnung es hinpassen könnte. Wenn man etwas austauscht, entstehen plötzlich ganz neue Kombinationen. Kunst sieht eben immer wieder anders aus, je nachdem wo und in welchem Kontext sie hängt.
Natürlich. Ich bin ein Bauchmensch und besitze nur Arbeiten, die ich liebe und mit denen mich eine Geschichte verbindet. Ich überlege mir auch nicht, wie viel sie in fünf Jahren wert sein könnten.
Welches ist Ihr Lieblingswerk?
Eine Collage von Lorna Simpson. Ich schaue sie jeden Tag an und erfreue mich an ihr. Genauso geht es mir mit einem Ölbild von Rita Ackermann.
Wer und was bestimmt den Preis von Kunst?
Das Wichtigste ist die Biografie des Künstlers: Welche grossen Ausstellungen und Museumsankäufe hat er gehabt? Dann beobachten wir seine Performance bei Auktionen, und natürlich spielt auch die Nachfrage eine Rolle. Manche Künstler haben Wartelisten, weil sie so gefragt sind.
Wie wichtig ist der Onlinehandel?
Corona hat alles verändert. Plötzlich mussten wir die Galerien schliessen und waren gezwungen, innerhalb weniger Wochen umzudenken. 2020 haben wir unsere ersten Onlineausstellungen mit George Condo und Rashid Johnson durchgeführt. Beide waren ein Riesenerfolg. Seither hat sich der Zugriff auf unsere digitalen Plattformen verdoppelt. Unser Instagram-Account zählt inzwischen über 680 000 Follower. Die neuen Möglichkeiten der Kunstbetrachtung funktionieren also. Auch die Integration neuer Technologien für den Onlineverkauf ist erfolgreich.
Bieten Sie auch digitale Kunst an?
NFTs sind ein Thema, auch wenn wir noch nicht damit arbeiten. Wir nehmen unsere Verantwortung den Sammlern gegenüber sehr ernst und beobachten den Markt genau. Einige unserer Künstler interessieren sich schon für den Bereich, wie etwa Avery Singer, die im letzten Jahr ihr erstes NFT veröffentlicht hat.
Wo sehen Sie Entwicklungsmöglichkeiten für eine international agierende Galerie wie Hauser & Wirth?
Wir arbeiten weiter an unserer lokalen Repräsentanz und integrieren die neuen Locations in unser globales Netzwerk. «Glocal» ist ein Schlagwort, das wir bei Hauser & Wirth leben wollen. Diesen Herbst werden wir in Los Angeles einen zweiten Standort in West Hollywood aufbauen. Und wie bereits 2021 angekündigt, werden wir in London neben der bestehenden Galerie einen weiteren Showroom eröffnen.
In ein paar Wochen beginnt die Art Basel. Was erwarten Sie?
Schon in Venedig wurde klar, dass sich alle auf Basel freuen. Endlich können auch unsere internationalen Kunden wieder in die Schweiz reisen. Eines der Highlights am Stand von Hauser & Wirth wird eine Spinne von Louise Bourgeois sein. Ich erwarte intensive Tage. In unserer Galerie an der Bahnhofstrasse in Zürich zeigen wir die Ausstellung «Facing Infinity. Alberto Giacometti & Pablo Picasso» und an der Limmatstrasse «Frank Bowling. Penumbral Light» und «Jack Whitten». Am Ende der Art-Basel-Woche eröffnen wir eine neue Show mit Rashid Johnson auf Menorca. Wir haben die Galerie in einem alten Militärspital auf einer Insel im Hafen von Mahón im Sommer 2021 eröffnet.