Unterwegs in Süditalien

Belezza del sud: Lecce

Lecce dürfte eine der am stärksten unterschätzten Destinationen Italiens sein. Dabei zählt die im Absatz des Stiefels gelegene Barockstadt zu den schönsten des Landes.

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Die Ultima Spiaggia delle Cesine ist ein Geheimtipp, den Lecce-Insider nur ungern weitergeben. «Ach, es gibt so viele schöne Strände», sagen sie und nennen ein paar ganz sicher zauberhafte Orte zwischen Porto Cesareo und Gallipoli, die für perfekt geformte Buchten, feinsten Puderzuckersand und türkis schimmerndes Meerwasser bekannt sind. Sie lotsen Unwissende beherzt an das unweit gelegene Ionische Meer – dabei liegt die Adria mit einer der schicksten Badeanstalten der apulischen Küste quasi vor den Toren der Stadt. Der Strand befindet sich am Rand des vom WWF geleiteten Naturparks Le Cesine, man erreicht ihn zu Fuss vom nahen Parkplatz über bequeme Holzlatten, die sich durch mit üppiger Mittelmeer-Macchia bewachsene Sanddünen schlängeln. Wenn die Hauben der tiefroten Sonnenschirme ins Blickfeld rutschen, ist man da: ein heller Sandstrand mit grosszügig verteilten weissen Liegen und einem minimalistischen, über dem Boden schwebenden Terrassenrestaurant. Die Stimmung ist entspannt, die Musik leise, das Meer glasklar und auch im Herbst noch schön warm.

So wie mit diesem Strand ist es mit Lecce selbst: Man hat vielleicht mal davon gehört, aber dort gewesen sind die wenigsten. Die Stadt ist selbst hartnäckigen Italienfans unbekannt – wer nach Apulien reist, hat meist Strände, Masserie und die putzigen Trulli-Rundhäuser im Sinn, bestenfalls werden noch die wie Adlerhorste auf Hügelkuppen thronenden Dörfer Cisternino oder Locorotondo besucht. Nach Lecce kommt kaum jemand, dabei punktet das kompakte Städtchen mit knapp hunderttausend Einwohnern mit Kunstgalerien und Handwerkerateliers, vielen kleinen Läden sowie einer überraschend grossen Auswahl an wirklich guten Trattorien.

«In Lecce sind selbst die ärmsten Häuser geschmackvoll. Die schönste Stadt Italiens!» – Charles Berkeley (1685-1753), Philosoph

Lecce ist die grösste Stadt auf der Salento-Halbinsel, bekannt vor allem für die opulente Pracht ihrer barocken Bauwerke. Man bezeichnet sie gern als Florenz des Südens – was als Vergleich gewagt ist, denn Florenz ist ja bekanntlich die Wiege der Renaissance. Aber Lecce hat ohnehin viel mehr zu bieten als nur Barockarchitektur. In den 1950er-Jahren wurde die Università del Salento gegründet, die aus der im Dornröschenschlaf versunkenen Schönheit eine lebhafte junge Studentenstadt mit coolen Cafés, schicken Läden und einem zeitgeistorientierten Flair machte.

Junge Hipster sitzen schon vormittags an einem der blank gescheuerten Holztische vor dem Café Doppiozero am Domplatz. Sie bestellen einen Caffè al ghiaccio mit Mandelmilch und ein Pasticciotto dazu, ein mit Crème gefülltes Mürbeteigtörtchen mit hohem Suchtpotenzial. Manche der Gäste verbringen den halben Tag auf der Terrasse, denn früher oder später kommt sicher ein Bekannter vorbei. Das «Doppiozero» mit seiner jazzigen Musik, den langen Gemeinschaftstischen und den kunstvollen Lampen aus halb geschmolzenen Glasflaschen ist bei den Studenten ebenso beliebt wie bei jungen Müttern mit Kinderwagen, den Anwälten aus dem Justizpalast und den Angestellten der nahen Stadtverwaltung. An der einen Wand stapelt sich Pasta, Olivenöl und Wein zum Mitnehmen, an der anderen steht eine Theke mit Gorgonzola, Pecorino, Schinken und Coppa, die auf Wunsch zu opulenten Kombiplatten zusammengestellt werden.

Vom «Doppiozero» aus ist die majestätische Kathedrale Santa Maria Assunta mit ihrem hohen Glockenturm zu sehen, etwas seitlich davon steht das halb versunkene antike römische Amphitheater, das zu seiner Glanzzeit vor fast zweitausend Jahren 25'000 Zuschauer fassen konnte und ganz zufällig im Rahmen von Bauarbeiten am Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde. Der Kontrast ist typisch für diese Stadt, in der fast alles sehr alt ist, aber manches eben auch modern.

«Die Stadt hat sich in den letzten zehn Jahren sehr verändert. Früher galt Lecce als verwahrlost und gefährlich, heute ist von beidem nichts mehr zu spüren», erzählt Sissi Rossi, Inhaberin des eklektischen Concept-Stores Vico dei Bolognesi. «Inzwischen sind Künstler und Kreative aus aller Welt hierhergezogen. In ihrem Schlepptau wurden auch entsprechende Lokale und Läden eröffnet.» In Rossis Store hängen opulent bestickte fuchsiafarbene Blusen von Stefano Mortari neben indischen Leinenhosen von Eka und luftigen Baumwollröcken mit Vichyprint. Es gibt Geschirrtücher mit Oktopusmotiv, Murano-Aschenbecher aus den 1950er-Jahren, Tassen und Schalen mit stilisierten Ethnoverzierungen und wunderschöne Raffiataschen aus dem Atelier der Pariserin Sophie Digard. Im gleichen Gebäude, dem Palazzo Personè aus dem 15. Jahrhundert, residieren auch das zum Laden gehörende «Vico Cafè & Bistrot» – sein vielseitiges Angebot reicht vom Frühstück über ein leichtes Mittagessen bis hin zu Happy-Hour-Snacks und Dinner – sowie sechs Gästezimmer mit Natursteinwänden, gewölbten Decken, Vintagemobiliar und glänzenden Parkettböden.

Zu den ganz altertümlichen Traditionen der Stadt zählt dagegen die Kunst des Pappmaschees, es gibt sogar eine Strasse dazu: die Via Arte della Cartapesta. Doch die Werkstätten der alten Pappmaschee-Künstler sind fast alle verschwunden. «Wenn Sie unsere Meisterwerke sehen möchten, müssen Sie in die Kirchen und Klöster gehen», erklärt die Dame vom Zeitungskiosk an der Ecke. Klar, denn die Technik wurde vor allem bei der Herstellung der oft mannshohen Heiligenfiguren eingesetzt, wie sie beispielsweise in der prächtigen Basilika Santa Croce zu sehen sind – in einer der opulent verzierten Kapellen steht eine prächtige, aus Papier, Wasser und Kleister gefertigte Marienstatue. Um sie herum sind fünf Kirchenschiffe, siebzehn Altäre und unzählige Gemälde und Fresken verteilt, von aussen prunkt der Bau, dessen Fertigstellung gut hundertfünfzig Jahre in Anspruch nahm, mit einer über und über mit Frauengestalten, Engeln, Fabel- und Zwitterwesen, Blumen, Tieren und Girlanden geschmückten Fassade. Sie ist – wie die meisten Gebäude, Strassen, Plätze, Torbögen und das antike römische Amphitheater – aus «pietra leccese» errichtet, einem honigfarbenen Tuffstein aus der Region. Wenn die Sonne scheint, leuchtet ganz Lecce in einem einzigartigen goldenen Licht.

«Sie können das Universum haben, wenn ich dafür Italien bekomme.» – Giuseppe Verdi (1813-1901), Komponist

Am Abend glänzt vor allem die Aperitivo-Szene. In den schmalen Gassen des Centro storico kann man kaum einen Olivenkern werfen, ohne eine Bar zu treffen. Ob das Caffè Letterario mit leckerem Spritz mediterranée, vielen köstlichen Canapés, Tischen vor der Tür und häufiger Livemusik, die Enoteca Mamma Elvira mit schlichten Holztischen, Kisten und Regalen voller bester Weine und kleiner Köstlichkeiten für eine solide Basis im Magen oder die beiden fast nebeneinander liegenden Cocktailbars Prohibition und Quanto Basta, in denen bekannte wie auch völlig unbekannte Drinks mit professioneller Perfektion gerührt und geschüttelt werden – es gibt für jeden Geschmack das Passende und höchstens die Qual der Wahl. Zum Essen geht man ins schlicht-schöne «Due Corti», wo Giorgio Grassi und seine Frau Marinella unvergessliche Gerichte wie Ciceri e tria (teils gekochte, teils frittierte Tagliatelle mit Kichererbsen), Auberginenbällchen («cocule» im Lokaldialekt) mit Minze und Basilikum oder ein wunderbares Fava-Püree mit Stängelkohl servieren und dazu die besten Weine der Region ausschenken.

Zum Glück ist das alles noch nicht wirklich bekannt und das wunderbare Lecce bis jetzt ein Geheimtipp ohne Designerboutiquen, ohne grosse Hotelketten mit Spa und Sterneküche, ohne prominente Urlaubsgäste. Lecce ist angenehm unprätentiös, und es scheint, als wolle man es dabei belassen. Ob das gelingt, ist ungewiss: Apulien boomt – nur Lecce selbst noch nicht allzu sehr. Wer sich traut, im Winter zu kommen, hat diese unglaublich schöne Stadt sogar fast für sich alleine.

Anreise

Swiss fliegt mehrmals wöchentlich von Zürich sowie Genf nach Bari und Brindisi. Von Basel aus fliegt Easy Jet beide Flughäfen an.

Check-in

LA FIERMONTINA Eine Masseria aus dem 18. Jahrhundert, die in ein schickes Ressort verwandelt wurde. Das Haus liegt in einem Olivenhain mit Pool am Rande des historischen Zentrums, zum Essen steht eine Gartenterrasse bereit.

DZ ab 246 Franken.

VICO DEI BOLOGNESI PER PALAZZO PERSONÈ Der Palazzo steht unweit der Basilika Santa Croce und bietet sechs minimalistisch-edel gestaltete Zimmer mit gewölbten Decken, modernistischem Vintage-Mobiliar und Marmorbädern. Alle Einrichtungsstücke stehen zum Verkauf.

DZ ab 140 Franken.

PALAZZO DE NOHA Artemide-Lampen von Gae Aulenti und Sofas von Zaha Hadid in einem Stadtpalais aus dem 15. Jahrhundert: Die neun Suiten sind lichtdurchflutet und mit Alkoven, gewölbten Decken und Bögen versehen. Highlight: die Dachterrasse mit Pool, wo auch das Frühstück serviert wird.

DZ ab 160 Franken.

Essen

ALLE DUE CORTI Trattoria mit unverfälschter Regionalküche. Unsere Empfehlung: Ciceri e tria aus dicken Nudelsträngen mit Kichererbsen und schwarzem Pfeffer und die leckersten Auberginenbällchen der Stadt.

Corte dei Giugni 1, +39 0832 24 22 23

LA CUCINA DI MAMMA ELVIRA Leicht modernisierte Klassiker und Kreationen wie Bruschetta mit gekochten Tomaten und Pecorino, Burrata-Ravioli in einer Cherrytomatensauce und ein zart salziges Semifreddo al Pistacchio.

LA CORTE DEI PANDOLFI Austern, Spaghetti mit Meerigel, Zahnbrassen-Carpaccio, Fritto misto – im Lokal auf der zauber- haften Piazza schmeckt man die Nähe des Meeres. Dazu: beste Weine aus der eigenen Enoteca.

TRATTORIA LE ZIE Das Menü wird von der Wirtin Carmela Perrone höchstpersönlich vorgetragen: Spezialitäten wie Tajeddha, mit Pecorino und geriebenem Brot überbackene Miesmuscheln und Melanzane alla Parmigiana.

Via Costadura 19, +39 0832 24 51 78

TORMARESCA VINO E CUCINA Das Restaurant gehört zu einem lokalen Weingut. Unsere Empfehlung: Cavatelli-Pasta mit Pfeffer und Käse (Cacio e pepe), Miesmuscheln und Zucchini – köstlich!

Sehen

STRÄNDE Besonders beliebt sind Torre dell’Orso, Baia dei Turchi, Punta della Suina, Baia Verde und der Abschnitt zwi- schen Torre Pali und Torre Vado.

MUSEO STORICO CITTÀ DI LECCE Die ständige Sammlung des Museums umfasst Werke von lokalen Künstlern, dazu werden wechselnde Ausstellungen gezeigt, die die Stadt mit der nationalen und internationalen Kunstszene in Kontakt bringen.

FONDAZIONE BISCOZZI RIMBAUD Die Stiftung besteht aus einer Dauerausstellung – Gemälde, Skulpturen und Grafiken italienischer und europäischer Künstler des 20.Jahrhunderts sowie Wechselausstellungen im Erdgeschoss.

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