Wer sich überlegt, nach Pantelleria zu reisen, wird zunächst ausführlich darüber informiert, was der Insel alles fehlt: Sandstrände und hippe Hotels. Schicke Restaurants und Schattenplätze am Wasser. Boutiquen und Beachklubs. Museen und Michelin-Sterne. Der Handyempfang soll grösstenteils ausbleiben, dafür wehe ein konstanter Wind, der Pantelleria – arabisch: Tochter der Winde – ursprünglich ihren Namen gab. Die kleine Schwester von Sizilien und Sardinien sei eine Perle – in Schwarz. Ob das Strategie oder Konzept ist, sich vor Touristenmassen zu schützen, sei vorerst dahingestellt. Die spärliche Berichterstattung aber zieht sich durch: Selten fühlte sich eine Reise so ungewiss an, wie meine erste nach Pantelleria.
Zwischen zwei Welten
Pantelleria, die kleine Insel zwischen Sizilien und Tunesien, ist nicht für jedermann. Genau das macht sie aus.
Es ist Juli, als ich zum ersten Mal Fuss auf der dunklen Vulkaninsel setze. Nach einem kurzen Aufenthalt in Palermo lande ich im Propellerflugezeug mitten in der Hochsaison – sie dauert von Juni bis September – auf einer von zwei kurzen Start- und Landebahnen des Flugplatzes. Dass die 88 Quadratkilometer grosse italienische Insel einen eigenen besitzt, ist hauptsächlich auf ihre Geografie zurückzuführen: Pantelleria liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen Sizilien und Tunesien und stellte militärisch lange einen strategisch wichtigen Stützpunkt dar. Bereits die Griechen, Phönizier und Römer sollen sich ums Eiland, dessen längst erloschener Hauptkrater sich über dem Meer bis auf eine Höhe von 836 Metern erhebt, gestritten haben. Pantelleria bot neben seiner Nähe zu Afrika nämlich immer auch etliche Thermalquellen, einen äusserst fruchtbaren Boden sowie klares, sauberes Wasser.
Mit meinem Gepäck in der Hand, stehe ich nach Ankunft innert weniger Minuten auf der Strasse – genauso wie eine Reihe blauer und roter Fiat Panda sowie andere Kleinwagen, die auf ihre Mieter warten. Ich steuere auf den blau-weissen Citroën Méhari zu, von dem mir der rudimentären Handhabung wegen streng abgeraten worden ist. Die Information, dass ich nur bar zahlen kann, ist gefolgt von derjenigen, dass es auf der Insel nur einen Geldautomaten gibt – in der Hauptstadt, dreissig Minuten entfernt. Ich verhandle mit Händen, Füssen und Google Translate und drehe schliesslich den Schlüssel im Zündschloss um. Auf Pantelleria sucht man Bankomaten genauso vergeblich wie Englischsprechende, grosse Autos oder Internetempfang. Was weder praktisch noch notwendig ist, gibt es nicht. Ich erinnere mich an die Worte eines Inselbewohners, die ich zuvor in einem Reisebericht gelesen hatte: Während Sizilianer stets in der Angst leben, dass sie demnächst geliefert seien, ist man auf Pantelleria der Überzeugung, dass man so- wieso geliefert ist – und nimmt das Leben folglich mit Gelassenheit.
Im offenen Méhari brettere ich die Hauptstrasse entlang, die rings um die Insel führt, und fühle mich in eine Filmszene von Luca Guadagninos «A Bigger Splash» katapultiert: Links und rechts reihen sich dunkelgrüne und braune terrassierte Flächen von Büschen und Blumen aneinander, in der Luft liegt der Duft von Oregano, Sonne und Meer. Am Horizont leuchtet das Dunkelblau des Wassers, immer wieder das Pink von blühenden Bougainvilleen. Gefragt nach der Wahl seiner Filmkulisse, nannte der Kultregisseur einst die «mächtige und unvorhersehbare Andersartigkeit» sowie die «unvorstellbar starke Kraft» Pantellerias als Beweggrund, Tilda Swinton hier in weissen Leinenkleidern um Olivenbäume schlendern zu lassen. Die dunklen, fast schwarzen Vulkanfelsen und die legendären starken Winde hätten laut Guadagnino ein ähnlich düsteres Wesen wie seine Hauptfiguren.
Sonnenbaden auf den Felsen des Cala Gadir oder in den schlammigen Thermalgewässern des Lago di Venere, Einkaufen im Dorfladen, frühe Aperitivi auf den weissen, gewölbten Dächern des eigenen Dammuso, wie hier die traditionellen Steinhäuser genannt werden, oder das abendliche Schlemmen von Fisch und Insalata Pantesca (einem lauwarmen Salat von Kartoffeln, Tomaten, roten Zwiebeln, Oliven und Kapern): Meine Sommertage auf Pantelleria sehen ziemlich genau so aus, wie Guadagnino sie in «A Bigger Splash» famos aufzeigt. Sie sind still, einfach, voller Geschmack und Genuss. Und stets dominiert von Wind und Wetter. Sie beginnen täglich mit der Analyse der Mistral- und Scirocco-Lüfte und enden oftmals mit einem Glas Passito von einem der 22 lokalen Weingüter.
Der Alltag scheint hier für alle gleich zu sein. Natürlich badet der legendäre Modeschöpfer Giorgio Armani, der seit vierzig Jahren bekanntlich jährlich drei Wochen am Stück auf der Insel verbringt, am liebsten in der Bucht seines eigenen Anwesens; genauso gern isst er aber neben Einheimischen im Restaurant Il principe et il pirata, schlürft Granita in der Hafenbar Aurora oder geht zur Happy Hour aufs wildromantische Weingut Coste Ghirlanda im ruralen Landesinneren. Überhaupt liegt in Pantelleria keine Adresse weiter weg als vierzig Minuten Autofahrt. Hier überquert man die Insel allein für einen Negroni Sbagliato in der Kayà-Kayà-Bar. Oder für eine Kugel Schoko-Kapern-Eis bei Il gelato di Ulisse in Scauri.
Dabei ist Pantelleria eher herb als süss, genauso wie seine knapp achttausend Einwohner, die hier primär Kapern und Wein anbauen. Francesco Ferreri, ein junger Winzer, der mit seiner Frau auf dem Weingut Tanca Nica biodynamisch Wein anbaut, erklärt mir beim Besuch, dass die Trauben hier in Büschen wachsen und aufgrund ihrer hohen Sensibilität für Naturgegebenheiten bereits bei wenigen Höhenmetern Unterschied ganz anders schmecken. Die beiden grössten Herausforderungen des lokalen Weinbaus – Wasserknappheit und Winde – hat er mit einer Methode gelöst, die von den Phöniziern erfunden wurde: Buschreben werden in geringer Dichte in einer ausgehobenen Mulde gepflanzt, um das Wasser aufzufangen. Seine zwei Hektare bringen um die 4000 Flaschen pro Jahr hervor, darunter die Naturweine Soki Soki und Ghirbi, die auch in der Schweiz vertrieben werden.
Nicht im Einklang mit der Natur zu leben, ist auf Pantelleria keine Option: Zu lebendig sind die Lüfte, zu stark die Strömungen. Als ich am letzten Tag im Hafen ein lizenzfreies Motorboot miete, wird mir verboten, weiter südlich zu fahren als bis zum Arco dell’Elefante. Ich lasse mich entlang der dunklen Klippen treiben und entdecke private Meerzugänge, wie sie Julia Roberts, Sting oder Madonna lieben. Und ich versuche immer wieder, Schwärmen von Quallen zu entkommen, die Zeugen sind von den brennend heissen Julitemperaturen.
Nach zwei Wochen auf Pantelleria verstehe ich, dass die vermeintlichen Defizite dieses Ortes seine grössten Geschenke sind. Wer hierherkommt, schätzt die Natur sowie die Entspannung, die das Leben ohne viele Optionen mit sich bringt. Das kollektive Bewusstsein, dass man die Insel für alles liebt, was sie hat – und das, was ihr fehlt –, hängt in der Luft wie die Sommerhitze. Was es nicht gibt, das braucht es nicht. Für alles andere wird gesorgt – und zwar reichhaltig. Italien eben.
ANREISE
Pantelleria hat einen eigenen Flughafen. Während der Sommermonate fliegt man ab Zürich via Palermo, Trapani, Rom oder Mailand. Ab Trapani gibt es ausserdem Fähren nach Pantelleria und zurück.
CHECK-IN
Parco dei Sesi Boutiquehotel und Künstlerresidenz mit Fokus auf Design und Nachhaltigkeit und mit einer persönlichen Vision von Gastfreundschaft. Mindestaufenthalt 4 Nächte, in der Hochsaison 7 Nächte. DZ ab Fr. 225.–. parcodeisesi.com
Tenuta Borgia Landgut im Südwesten der Insel mit mehreren, unterschiedlich grossen Dammusi, die einzeln oder zusammen gemietet werden können. Das Dammuso Grande war Filmkulisse in «A Bigger Splash». Ganzes Dammuso ab Fr. 770.– pro Woche. tenutaborgia.it
Sikelia Luxury Retreat Luxuriöses Adults-only-Hotel mit 20 Suiten, moderner Einrichtung, Spa und kreativer Küche. Mindestaufenthalt 3 Nächte. DZ ab Fr. 370.–. sikeliapantelleria.com
Club Levante Bodenständiges, familiengeführtes Landgut mit mehreren, verschieden grossen Dammusi und Suiten. DZ ab Fr. 90.–. clublevante.com
GOURMET
Il Principe e il Pirata Sizilianische Küche mit Aussicht: In der schicken Osteria in der Nähe von Gadir isst man Couscous mit frischem Fisch, mit Minze marinierte Zucchini und das Dessert Bacio pantesco. ilprincipeeilpirata.it
Coste Ghirlanda Grosses Landgut im Landesinneren, wo man edel und inmitten von Weinreben zu Abend isst. Unbedingt zum Aperitivo kommen, und wenn möglich einen Tisch auf dem Holzdeck buchen. costeghirlanda.it
Bar Kayà Kayà In der unprätentiösen Hafenbar von Scauri trifft sich die Insel zum entspannten Sundowner und Live-DJ.
Il Gelato di Ulisse Populäre Gelateria für hausgemachtes Eis bis spätabends. Ihre Spezialität: «Cioccolato al cappero di Pantelleria». ilgelatodiulisse.com.
Ristorante Bar La Vela Urchiges Restaurant mit direktem Meerzugang und einer frischen, authentischen Küche. Via dello Scalo 31, Scauri.
ENTDECKEN
Cala Levante Die Strandzugänge Cala Levante und Cala Tramontana sind klein, gepflegt, gut zugänglich und gleich unterhalb des Restaurants Le Cale, das sich für einen Lunch oder Aperitif lohnt.
Arco dell'Elefante Der ikonischste Badeplatz Pantellerias, dessen Klippen einem Elefantenrüssel gleichen.
Tanca Nica Kleines Landgut, auf dem der junge Winzer Francesco Ferreri im Familienbetrieb biodynamisch Wein anbaut. Eine Besichtigung mit Wine-Tasting gibts auf Anfrage via @tanca_nica.
SHOPPING
Casbah Kleine Boutique in Scauri mit Kleidung, Keramik und Schmuck von lokalen Designern. @casbahpantelleria