Einmal klingeln, und das Palazzo-Portal springt auf. Dahinter: ein Treppenhaus mit antikem Terrazzo-Boden, fantastischen Fresken und einem kunstvoll gearbeiteten Treppengeländer. Im ersten Stockwerk ist eine Tür nur angelehnt. «Come in», ruft die britische Sommelière Lucy Rosedale und reicht zur Begrüssung einen venezianischen Spritz. Die Location ist umwerfend und beeindruckt mit opulentem Stuck, holzvertäfelten Wänden, riesigen Murano-Leuchtern, kunstvoll bemalten Balkendecken und mit mythologischen Motiven verzierten Fensterscheiben. Im Salon steht eine gigantische weiss gedeckte Tafel für fünfzig Gäste, vom Balkon aus sind der Kanal, die Lagune und sogar der Campanile vom Markusplatz zu sehen.
Besondere Locations
Die Adressen, an denen «Ona» sich einmietet, sind stets besonders. In Basel, wo das Wanderrestaurant schon im Juni 2019 Art-Basel-Besucher und andere Gäste bekochte, war es das ehemalige Wasserreservoir Filter 4, das Anfang des letzten Jahrhunderts auf dem Bruderholz gebaut wurde und die Basler Haushalte mit Trinkwasser versorgte. Pronzato hat dessen unterirdische Hallen durch eine Laserinstallation optisch unter Wasser gesetzt und matt schimmernde Holztische in die gewölbten Räume gestellt. Auf dem Vorplatz sass man unter mächtigen Blutbuchen – mit Blick auf Basel und auf den grossen Grill, an dem ganze Lämmer langsam vor sich hin brutzelten. Die Lämmer kamen aus dem Jura, die Köche aus Paris: aus dem Sterne-Restaurant Septime und dem unter Gourmets ebenfalls hochgelobten japanischen «AT».
Das sind zwar Top-Adressen, doch wer dort nicht die Chefmütze trägt, darf Gemüse putzen, Saucen binden, Fleisch braten – und schuften, schuften, schuften. «Die jungen Köche kommen nicht dazu, ihre Kreativität einzusetzen», erklärt Pronzato, «sie führen aus, was der Chef will. Das ist schade.» Bei «Ona» laufen die Dinge anders: Pronzato selbst ist für die Gesamtorganisation zuständig, sucht und bucht Locations, findet junges, motiviertes Personal, berechnet Kosten und kümmert sich um das Marketing. Am Herd aber regieren die Köche. «Wir bieten Nachwuchstalenten eine Plattform. Sie können sich ausprobieren, Erfahrungen sammeln und lernen, ein Restaurant zu führen. Die Gäste profitieren von ihrem Enthusiasmus und ihrem grossen Engagement.»
Aufwind für Kurzzeitlokale
«Ona» hingegen profitiert von der ungebrochenen Popularität des Pop-up-Formats. Mit unkonventionellen Konzepten an aussergewöhnlichen Adressen machen Kurzzeitlokale etablierten Restaurants Konkurrenz. Begrenztheit – sowohl im zeitlichen als auch im räumlichen Sinne – ist dabei Teil der Marketingstrategie: Wer in Foodie-Kreisen mitreden will, muss über die nur halbwegs offiziellen Events Bescheid wissen und da gewesen sein. «Wir arbeiten mit vielen grossen Namen der Modebranche: Chanel, Hermès, Maison Margiela und die französische ‹Vogue› haben uns für ihre Events engagiert, aber auch die Champagner-Maison Ruinart sowie diverse Privatpersonen.»
Nach einem Moment der Schreckensstarre hat «Ona» sogar die Pandemie Aufwind verschafft. Als Erstes mit den «Paniers»: Körbe mit Zutaten für ein Dreigangmenü und die dazugehörige digitale Kochanleitung von wechselnden «Ona»-Küchenchefs wurden nach Hause geliefert – allerdings nur in Paris. Dann wurde «We are Ona Private Chefs» lanciert: Dank seinem internationalen Netzwerk engagiert Luca Pronzato fast überall auf der Welt Spitzenköche, die ein massgeschneidertes Esserlebnis in den Privatküchen von Kunden kreieren. Seit diesem Frühling funktioniert «Ona» nun fast wieder normal, und Pronzato hat für das laufende Jahr diverse Projekte in der Pipeline. Welche genau, verrät er aber nicht.
Kreatives Menü
In Venedig wird das «Ona»-Küchenteam vom 29-jährigen Franko-Vietnamesen Thomas Coupeau geleitet. Sein Menü startet mit einer Auster – wie es sich für einen Küchenchef aus Paris gehört. Die rohe Meeresfrucht wurde allerdings durch eine Sauce aus kalabresischer Nduja-Wurst italienisiert und durch fein geschnittene Limequats exotisch aromatisiert. So mischt sich die jodhaltige Frische der Auster mit der leicht fetten Schärfe der Wurst und der süssen Säure der Zitrusfrucht zu einer ungewöhnlichen, aber durchaus harmonischen Kombination.
Spass macht der Pasta-Gang, der an eine Carbonara erinnert, aber ohne Nudeln auskommt. Auf rohem, in Tagliatelle-Streifen geschnittenem Tintenfisch thront ein in Salzwasser mariniertes Eigelb. Für Würze sorgen knusprig gebratene Cotechino-Streusel, eine Sauce auf Pecorino-Rinden-Basis und frischer geriebener Pecorino-Käse. Zu den Hauptgängen zählt ein Stück roter Thunfisch, der «alla Rossini» mit gebratener Entenleber und einer Madeirasauce serviert wird, zu den Desserts eine samtige, tiefschwarze Mousse au Chocolat mit frittierten Kapern. Das Menü kostet 95 Euro – ein Schnäppchen mit hohem Unterhaltungsfaktor.
Überraschungseffekt
Schweizer «Ona»-Fans warten nun gespannt auf das, was ab dem 12. Juni in Basel geboten wird. «Unser Motto heisst wie schon 2019 ‹Basel on Fire›. Auch die archaischen Asado-Eisenstangen kommen wieder zum Einsatz, damit können ganze Tiere gegrillt werden. Aber das Menü wird natürlich ein anderes sein.» Mehr verrät Luca Pronzato nicht – «Ona» kultiviert den Überraschungseffekt. Sicher ist: Uhrzeit und Adresse werden gebuchten Gästen vierundzwanzig Stunden vor dem Event kommuniziert; wer sie bekocht und was serviert wird, bleibt bis zum Schluss ein Geheimnis.