Kunst dient dem Unternehmensbranding, ist Lifestyle und füttert die Sammelobsession vieler. Welche Funktion hat in Ihren Augen die Kunst heute – auch angesichts der Krisen und aufgeflammter Konflikte?
Ich denke, Kunst kann uns helfen, andere Perspektiven kennenzulernen. Künstler spielen eine wichtige Rolle dabei, dass wir die Vorgänge in der Welt intellektuell und emotional verarbeiten. Oft beginnt man beim Betrachten von Kunstwerken, auf eine andere Weise über Dinge nachzudenken. Künstler sind sehr clever und spielen auf originelle Weise auf Vorgänge an, die da draussen stattfinden. Wir können von ihnen zwar in den Nachrichten lesen oder sie im Fernsehen sehen, aber es ist ein Künstler, der uns eine alternative Sicht auf das Geschehen liefert.
Die Künstlerin als Interpretin des Zeitgeschehens, als Gesellschaftskritikerin, der Künstler als Seismograf also?
Ja, ich bin sicher, Künstler und Künstlerinnen werden die heutigen Krisen und Kriege in ihren Werken ansprechen. Sie haben eine besondere Sensibilität, um das, was sie sehen und fühlen, zu transformieren. Kunstschaffende sind wirklich erfinderisch darin, Themen aufzugreifen und Raum für deren verschiedene Aspekte zu schaffen. Sie bringen uns dazu, über die Zeit, über das Leben nachzudenken – die einen provokativer als die anderen.
Der Schweizer Künstler Julian Charrière etwa behandelt in seinen Arbeiten immer wieder die Klimakrise, insbesondere beleuchtet er die Ölindustrie. Die neueste Serie «All Their Land» konzentriert sich auf die Ölfel- der in Los Angeles. Haben Sie gewusst, dass es dort Hunderte von Ölfeldern gibt und dass auf ihnen der ganze Reichtum der Stadt samt Hollywood fusst? Es ist eine sehr interessante und komplizierte Geschichte. Sie berührt die Steuervergünstigungen, die den Unternehmen in Kalifornien gewährt wurden, die Investments von Filmschauspielern in die Ölindustrie und die Direktoren von Ölfirmen, die wiederum in die Filmindustrie investierten. Das sind alles Dinge, über die wir nicht nachdenken, wenn wir an Los Angeles und Hollywood denken. Wir sehen Los Angeles nicht aus der Perspektive eines Zentrums der Klimakrise.
Es fällt auf, dass Umweltthemen zurzeit viele Künstler umtreiben.
Ja, und von ihnen haben wir in vergangenen Jahren einige Werke erworben. Von Tomás Saraceno etwa, der in seiner Kunst Prototypen zukünftiger Metropolen des ethischen Lebens schafft, für die er sich eine Zukunft ohne CO2-Emissionen und fossile Brennstoffe ausmalt. Dazu arbeitet er in einer kollaborativen Gemeinschaft namens Aerocene. Ich finde es interessant, wie er Kunst mit sozialem Engagement verbindet. Gemeinschaft ist ein weiteres Thema, das sich abzuzeichnen scheint. Wir haben viel mit Derrick Adams zusammengearbeitet, der in Baltimore, Maryland, ein Retreat eingerichtet hat. Der indonesische Künstler Eko Nugroho schuf für uns eine Installation, für die er sich mit der problematischen Plastikproduktion befasst. Gleichzeitig greift er auf das lokale Kunst- handwerk zurück, indem er Handwerker aus seiner Gemeinschaft einbezieht. Eine weitere Künstlerin, die den Gemeinschaftsaspekt betont, ist die Polin Malgorzata Mirga-Tas. Ich war fasziniert von ihrer Präsentation im polnischen Pavillon an der letzten Biennale in Venedig. Sie stammt aus einer Roma-Gemeinschaft und erschafft grossformatige Textilarbeiten, die Mitglieder der Gesellschaft aus den von Roma-Frauen selbst genähten Kleidern produziert haben.
Sie sagten einmal, Kunst sei für Sie etwas Essenzielles und etwas sehr Persönliches. Wie sind Sie selbst zur Kunst gekommen?
Während meines Grundstudiums konzentrierte ich mich zunächst auf die Naturwissenschaften, weil ich darin sehr gut war. Auch drängten mich zu jener Zeit Professoren, bei den Naturwissenschaften zu bleiben, weil es dort wenige Frauen gab. Das dritte Universitätsjahr verbrachte ich in Paris, wo ich glücklicherweise auf einen Lehrer traf, der mir sagte: «Mary, du bist in Paris! Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du eine Klasse im Louvre besuchen willst.» Was ich dann auch tat. Ich besuchte Kunst- geschichtestunden und sog alles auf – vom Mittelalter über die Renaissance bis zum Impressionismus.
Trotzdem studierten Sie danach Jura. Obsiegte die Vernunft?
Meine Absicht war es nie, Anwältin zu werden, sondern Museumsdirektorin. Damals wurden Museen fast ausschliesslich von Männern geleitet, und einige scheiterten gerade an ihren Aufgaben, wie zum Beispiel im Los Angeles County Museum of Art oder in der National Gallery of Art in Washington. Mit ihrem Studienabschluss in Kunstgeschichte allein wurden Sie den Anforderungen des Jobs anscheinend nicht gerecht. Mit Thomas Krens kam dann ein Direktor ans Guggenheim Museum, New York, der mit seinem MBA-Abschluss einen neuen Typus von Museumsdirektor verkörperte. Als junge Frau dachte ich, ein Kunstgeschichtsstudium allein würde nicht genügen, sondern es brauche etwas anderes. Weil ich an Business nicht interessiert war, entschied ich mich für Kunstrecht. Das Fach war damals neu, hatte eine intellektuelle Dimension und umfasste viele spannende Aspekte.
Sie arbeiteten zuerst als Juristin und nicht als Museumsdirektorin.
Ehrlich gesagt hat mir dieses Studium zu Beginn nicht sehr geholfen, um in der Kunstwelt eine Stelle zu finden. Die entscheidenden Leute wollten keine Juristin einstellen, die vielleicht Verträge zu sehr infrage stellte oder auf sonstige Probleme hinwies. Als ich dann einige Jahre als Juristin arbeitete und mich um Kunstrestitutionen aus dem Zweiten Weltkrieg kümmerte, kam plötzlich deutsche Kunst in meine Welt. Das änderte für mich alles. Ich verbrachte ein ganzes Jahrzehnt in Berlin, arbeitete unter anderem für das Auktionshaus Grisebach und war Korrespondentin für das «Art Newspaper». Als ich in die Vereinigten Staaten zurückkehrte, begann ich, für private Sammler in New York zu arbeiten, und als mein Sohn noch klein war, wechselte ich zum Sotheby’s Institute of Art, wo ich einen Master-Studiengang in Art-Business leitete.
Was unterscheidet eigentlich das private Sammeln von einer Corporate Collection?
In vielerlei Hinsicht ist es derselbe Prozess, vor allem, was Recherche und den Erwerb betrifft. Aber wir als Unternehmen sammeln für einen bestimmten Zweck, das heisst, für spezifische Projekte für einen bestimmten Ort. Beispiels- weise möchten wir Künstler aus der Region für unsere Zentrale in Singapur, und ein Kunstwerk muss in einen Konferenzraum passen. Natürlich beeinflusst auch der persönliche Geschmack die Sammlung, aber wir arbeiten als Team. Jedes Mitglied meines heute elfköpfigen Teams verfolgt das Geschehen in der Kunstwelt der jeweiligen Region, in der es sich befindet – ob in New York, London, Frankfurt, Singapur, Hongkong oder in Zürich –, und bringt eigene Ideen ein. Wir stehen im ständigen Dialog mit und über Künstler. Das Grossartige an der Kunst ist, dass man immer lernt! Dieser Prozess ist nie abgeschlossen. Selbst innerhalb einer bestehenden Sammlung gibt es immer viel zu lernen und zu erforschen. Mir macht es grossen Spass, zurückzugehen und Verbindungen zwischen Neuankäufen und älteren Werken herzustellen.
Sammeln Sie heute auch selbst?
Die Frage ist: Ab wann kann man den Besitz von ein paar Kunstwerken eine Sammlung nennen? Aber ich glaube schon, dass das, was ich im Laufe der Zeit erworben habe, eine Sammlung geworden ist. Sie ist eher biografisch, denn die Werke stammen oft von Künstlern, zu denen ich eine besondere Beziehung habe oder mit denen ich zusammen- gearbeitet habe. Ich besitze zum Beispiel einen Druck von Louise Bourgeois, weil meine Anwaltskanzlei sie früher vertreten hat. Manchmal haben Künstler mir auch ein Kunstwerk geschenkt, weil sie mich als Anwältin nicht bezahlen konnten. Und manchmal entdeckte ich jemanden an einer kleinen Messe, weil er mich persönlich angesprochen hat. Die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts ist eine Leidenschaft von mir, und Fotografie.
Es fällt auf, dass Sie in letzter Zeit viel Kunst von Frauen für die UBS Collection angekauft haben.
Frauen erhielten über viele Jahrzehnte zu Unrecht weniger Anerkennung als ihre männlichen Kollegen. Erst jetzt kommt ihnen der Platz zu, den sie verdienen, und sie bekommen eine grössere Sichtbarkeit auf dem Markt. Sie arbeiten zu aktuell sehr relevanten Themen. Von der kalifornischen Künstlerin Liz Larner haben wir ein Werk angekauft, das die Gefahren von Plastik- müll für die Umwelt thematisiert. Sie schuf eine wunderschöne, transparente, leuchtende Skulptur aus Plastikabfall. Weiters haben wir ein Werk der Schweizer Künstlerin Pamela Rosenkranz erworben, «Anamazon (See Lines)». Rosenkranz befasst sich darin mit der Abholzung des Amazonas und untersucht die Widersprüche zwischen Idealisierungen der Natur und dem scheinbaren Entschluss der Menschheit, die Natur zu erobern.
Die globalisierte Kunstwelt ist mittlerweile zu einem unüberschaubaren Feld mit verschiedenen Orten und Messen geworden. Wo finden Sie spannende Kunst?
Natürlich besuche ich immer die grossen Kunstmessen wie die Art Basel. Sie ist von ausserordentlicher Qualität, und man findet dort von der klassischen Moderne bis zu aufstrebenden Künstlern die ganze Bandbreite. Aber ich geniesse es ebenso, kleinere, unkonventionelle Kunstmessen in verschiedenen Regionen zu erkunden wie kürzlich in Dublin. Das öffnet einem die Augen! Obwohl wir in einer globalisierten Welt leben, setzt jede Region ihre eigenen Akzente und hat unterschiedliche Werte. Auch die «Liste Art Fair» in Basel begeistert mich jedes Mal wieder. Und natürlich sind Asien, Hongkong und Singapur immer sehr spannend.
Was empfehlen Sie jemandem, der gerade anfängt, sich für Kunst zu interessieren oder gar eine Sammlung aufbauen möchte?
Ich empfehle, so viele Kunstmessen wie möglich zu besuchen, auch wenn man sich die Kunstwerke nicht leisten kann. Das hilft, herauszufinden, was man mag. An hochwertigen Messen kann man sich bilden. Drucke finde ich eine gross- artige Möglichkeit, mit dem Sammeln zu beginnen. Es gibt viele legendäre Drucker, die eng mit den bekanntesten Künstlern zusammengearbeitet haben. Kürzlich waren wir bei Cirrus Gallery & Editions in Los Angeles. Es war hochspannend, mit den Leuten zu reden, die von Anfang an mit Edward Ruscha gearbeitet haben. Wir kaufen viele Prints für unsere Sammlung. Die «Ink»-Messe in Miami Beach ist dafür wundervoll. Wenn ich einen Künstler mag, mir aber sein Werk nicht leisten kann, schaue ich seine Prints an. Es gibt Künstler, die ihre Drucke als ihre höchste Ausdrucksform betrachten, wie viele deutsche Expressionisten des 20. Jahrhunderts, die ich liebe. Die Körperlichkeit eines Holzschnitts ist unerreicht.
Am Kunstmarkt scheinen sich die Trends immer rascher abzulösen. Läuft man nicht auch Gefahr, Moden aufzusitzen?
Man sollte sich nie von bestimmten Momenten, sei es an Messen oder Auktionen, hinreissen lassen, sondern nur kaufen, was einem wirklich ganz persönlich gefällt. Und man sollte zuerst Wissen sammeln, bevor man Kunst sammelt. Solide Recherche betreiben. Es ist wichtig, in die Museen zu gehen. Schliesslich geht es ja ums Lernen. Und letztlich ist auch Verantwortung mit im Spiel. Kunst kaufen ist nicht einfach nur eine kommerzielle Transaktion. Es geht darum, das Wissen um den Kunstmarkt, aber ebenso ein Verständnis für die Verantwortung, die man gegenüber einem Kunstwerk besitzt, zu entwickeln.
Wenn Sie es sich wünschen könnten: Mit welchem Künstler, welcher Künstlerin würden Sie gern einen Tag verbringen?
Es kommen mir gleich zwei Frauen in den Sinn: die Fotografin Lee Miller und die abstrakte Expressionistin Helen Frankenthaler. Mit Millers Werk kam ich in Berührung, als ich als junge Anwältin einen Leihvertrag für eine Ausstellung ihres Werkes in Washington D. C. abgeschlossen habe. Lee Miller begann als Model, arbeitete mit Surrealisten wie Man Ray, kam so zur experimentellen Fotografie und war selbst eine hervorragende Fotojournalistin und Kriegsreporterin. Schliesslich publizierte sie noch ein Kochbuch. Eine grossartige Avantgardefotografin, die mit Leuten wie Picasso befreundet war, sehr mutig, sehr glamourös. Sie ist eine absolut faszinierende Persönlichkeit mit reicher Lebensgeschichte, aber sie bekam lange nicht viel Anerkennung für ihre Arbeit. Ich habe ein wunderschönes Porträt von Lee Miller, das Man Ray aufnahm, während sie schlief. In mancher Hinsicht ähnlich ist Helen Frankenthaler. Sie war Teil der abstrakten Expressionistenbewegung, die von Männern dominiert war. Wie Lee Miller war sie sehr innovativ, nahm die Color-Field-Malerei vorweg. Ihre mit Farbe durchtränkten Leinwände sind einzigartig. Sie hatte ein Sommerhaus in Provincetown auf Cape Cod. Dort verbringe ich selbst meine Sommer.