Ja, absolut, aber ich wollte nie dort bleiben. Es ist zu weit weg. Die Neuseeländer sind wunderbar, doch sie sind mir in dem Sinne fremd, als dass ich an Dunkelheit gewöhnt bin, an «sophistication», an einen anderen Typ Mensch. Aber es sind gute Leute, daher mag ich auch die Tatsache, dass Ruth, die ein unstetes Leben geführt hat, genau dorthin geht für ihre letzte Reise.
Sie spielen in vielen Dramen. Warum haben «dunkle» Filme so eine grosse Anziehungskraft auf Sie?
Das kann man nicht kontrollieren, man weiss nicht, warum einen etwas anzieht. Es sind keine bewussten Entscheidungen, die man fällt, es passiert einfach. Aber sicherlich spielt das Unterbewusstsein eine Rolle dabei, warum wir gewisse Dinge machen. Viele kreative Kräfte scheinen auf den ersten Blick nichts mit dem Künstler gemein zu haben, der sie besitzt beziehungsweise ausübt. Aber ich weiss, dass ich die Dunkelheit brauche, um zu «funktionieren». Ich bin zwar ein glücklicher Mensch, aber auch ein sehr düsterer. Vielleicht ist es dieser Kontrast, der mich nicht in Neuseeland bleiben liess. Es ist ein sehr «helles» Land, alles dreht sich um Licht. Aber es ist eine aussergewöhnliche Erfahrung, diesen Ort und seine Menschen kennenzulernen – ich wünschte, jeder könnte sie einmal machen.
Ist das auch der Grund, warum Sie Hollywood nie interessiert hat – weil es dort zu sehr glänzt, es zu viele Happy Ends gibt?
Genau deswegen. Oder wegen der Art und Weise, wie die Schauspielenden gehen und sich umdrehen – ich mag dieses Umdrehding nicht (lacht)!
Ruth ist sehr provokant. Wann haben Sie das letzte Mal provoziert?
Ich liebe es, in Filmen provokant zu sein, vielleicht, weil ich im echten Leben nicht allzu viele Gelegenheiten dazu bekomme (lacht). Heutzutage gilt es als nicht mehr angebracht, zu provozieren. Die, die es taten, leben nicht mehr oder am Rand der Gesellschaft. Die 1970er-Jahre waren eine einzige verrückte Provokation, die Leute waren zu allem bereit.
Liegt es daran, dass viele Menschen sich heute nicht mehr trauen, ihre Meinung öffentlich zu äussern? Stichwort Cancel-Culture.
In Zeiten von Social Media wird jede Meinungsäusserung sofort aufgegriffen und bewertet: «Oh nein, das kannst du nicht sagen, das kannst du nicht tun!»
Sind Sie in den sozialen Medien aktiv?
Nein, warum sollte ich? Gott bewahre!
Kein geheimer Instagram-Account unter einem Pseudonym?
Ich werde immer mal wieder darauf angesprochen, dass ich welche hätte, aber – believe it or not – es sind nicht meine eigenen.
«Ich weiss, dass ich die Dunkelheit brauche, um zu ‹funktionieren›.» – Charlotte Rampling, Schauspielerin
Viele Menschen nutzen Social Media, um einen Partner oder eine Partnerin zu finden. Obwohl Ruth sich am Ende ihres Lebens befindet, sehnt auch sie sich nach einer letzten grossen Romanze. Hört das Ziehen im Herzen nie auf?
Niemals! Das ist ganz sicher. Liebe ist das Einzige im Leben, was alles andere überdauert. Jemanden zu finden, den wir lieben können, ist ein schöner letzter Wunsch.
Es ist der erste Film, den Matthew J. Saville – nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen australischen Regisseur – produziert hat. Und somit auch ein gewisses Risiko für Sie.
Geschichten kommen von überallher. Ich mag kleine Filme, Autorenfilme. Das bedeutet, dass der Autor auch Produzent des Films ist. An Matthews Drehbuch haben mich viele Sachen gereizt, aber ich wollte nicht nach Neuseeland fliegen. Daraufhin fragte er, ob er nicht nach Paris kommen könne, um mit mir zu sprechen. Also sagte ich: «Na gut, komm her.» Dann redeten und redeten und redeten wir. Seine Geschichte ist sehr stark, es war schon fast alles da, das ist ungewöhnlich. Aber wir haben das Drehbuch gemeinsam noch etwas überarbeitet. Ruth sollte ursprünglich in ihren Achtzigern sein. Das war mir zu alt für so eine willensstarke, griesgrämige Person. Und abgesehen davon mag ich es nicht, jemanden zu spielen, der älter ist, als ich es bin (lacht). Ich spiele mein Alter – verschiedene Charaktere, aber mehr oder weniger immer in meinem Alter. Ich möchte niemanden verkörpern, der wesentlich älter oder jünger ist.
Ist das auch der Grund, warum Sie gegen Schönheitsoperationen sind?
Ich verachte niemanden, der sich operieren lässt, aber ich habe für mich beschlossen, dass ich es nicht machen werde. Es macht für mich als Schauspielerin auch keinen Sinn. Ich habe ein gutes Gesicht, das mir hoffentlich noch lange erhalten bleibt, auch wenn es mit der Zeit der Schwerkraft zum Opfer fällt.
Wie wählen Sie Ihre Rollen aus? Sie werden viele Angebote erhalten.
Das ist so, aber nicht viele gute. Solche, von denen man sagt: Für diese Rolle würde ich töten! Wenn, dann merkt man auf der Stelle: Das ist es! Bei «Juniper» war es so. Ich wusste sofort, dass dieser fragile Film ein wahnsinniges Potenzial besitzt. Und er hat das Versprechen eingelöst, das er vorab gegeben hat. Wenn man ein Drehbuch liest, sollte es wie ein Haken sein, der sich in einem festsetzt. Einen Film zu machen, ist eine sehr lange, ermüdende Reise.
Das kann es sein. Nicht unbedingt das Filmen an sich, aber alles, was drum herum passiert (lacht).
Derzeit drehen Sie die zweite Staffel der dänischen Serie «DNA». Bevorzugen Sie Filme oder Serien?
Ich bin definitiv ein Filmgirl. Es gibt tolle Serien, aber ich bin zu anfällig, abhängig zu werden. Ich möchte nicht bis Mitternacht fernsehen.
Wenn Sie drehen, sind Sie oft wochenlang in fremden Ländern unterwegs. Bekommt man kein Heimweh?
Oh doch, ich hasse es manchmal und werde dann sehr melancholisch. Ich nehme Bücher mit von klugen Personen wie Yuval Noah Harari. Als ich sehr jung war, ging es mir eine Zeit lang nicht gut, und ich bin in ein Kloster gegangen. Dort habe ich einen chinesischen Philosophen kennengelernt. Später habe ich sein Werk wiederentdeckt und nehme es immer mit auf Reisen. Gewisse Philosophen haben eine Art, zu mir zu sprechen, die mich beruhigt, die mich gedanklich wieder an den Ort zurückbringt, an dem ich sein sollte, der mich erdet. Es ist wichtig, dass es Menschen gibt, die so zu einem sprechen.
Haben Sie das Gefühl, die Menschen reden heutzutage nicht mehr genug miteinander?
Ich empfinde es als sehr schwierig, mit Menschen zu sprechen. Ich habe das Gefühl, es strengt sie immer mehr an, zuzuhören. Obwohl – das war schon so, als ich noch jung war. Auf seinem Weg muss man Menschen finden, die einen hören und die man selbst hört. Mit denen man einen Teil seiner Vergangenheit teilen kann. Ansonsten macht jeder nur sein Ding, und es gibt keine Gemeinsamkeit.
War die Schauspielerei für Sie schon immer ein Weg, mit schwierigen Phasen im Leben umzugehen?
Ganz sicher. Beim Filmen wirst du komplett vereinnahmt von einer Gruppe von Leuten. Es hat mir sehr geholfen, Menschen zu treffen, die für mich da sind. Aber am Ende muss man sich natürlich selbst helfen.
Sie sind Britin, leben aber in Paris. Vermissen Sie die Heimat?
Ich besuche England sehr oft. Einer meiner Söhne und meine Enkelsöhne leben dort, und ich drehe regelmässig auf der Insel. Vielleicht ist es Teil meiner Identität, dass ich ein wenig Abstand halte, dass ich von Menschen umgeben bin, die sich nicht mit mir identifizieren. Die Franzosen fragen immer: «Fühlen Sie sich inzwischen nicht wie eine Französin?» Warum sollte ich mich wie eine Französin fühlen? Nur weil ich dort lebe? Im Gegenteil, ich fühle mich mehr und mehr britisch (lacht). Im Leben trifft man immer Entscheidungen. Vielleicht werde ich irgendwann für eine Weile zurückkehren? Möglich. Aber ich mag es, zwischen Frankreich und England zu pendeln.
Sie haben Ihre Enkelsöhne erwähnt. Königin Silvia von Schweden hat einmal gesagt: Enkel sind das Dessert des Lebens. Stimmen Sie zu?
Warum nicht, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich liebe es, Zeit mit ihnen zu verbringen. Es sind zwei wunderbare Jungen, die inzwischen schon richtig gross sind.
Mit Ihrem Sohn Barnaby Southcombe, der Regisseur ist, haben Sie bereits einen Film gedreht. Möchten Sie noch einmal für ihn vor der Kamera stehen?
Das hoffe ich. Vielleicht, wenn ich sehr, sehr alt bin, das wäre sicherlich ein Spass. Vorausgesetzt, ich werde sehr alt.
Da mache ich mir keine Gedanken, Ihr Vater wurde hundert.
Ja, es sieht so aus, als könnte ich es schaffen – wenn ich es nicht übertreibe (lacht).
«Juniper» ist ab dem 15. September in den Kinos der Deutschschweiz zu sehen.