Köchin Dalad Kambhu im Interview

A chef's story

Ihre Gerichte sind filigran, ansonsten ist Dalad Kambhu alles andere als zurückhaltend. Ein Gespräch mit der Wahlberlinerin.

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«Können wir etwas später starten?», fragt Dalad Kambhu (36) vor unserem Interviewtermin. Sie sei «on chef’s hours», sprich jeden Abend so lange in der Küche, bis der letzte Gast gegangen ist – und Schlaf sei ihr heilig. Die Thailänderin eröffnete 2017 das Restaurant Kin Dee, thailändisch für «gut essen», unweit vom Potsdamer Platz in Berlin und serviert seither fünf Abende die Woche Thaigerichte mit Zutaten aus der Umgebung. Dies so erfolgreich, dass sie 2019 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet worden ist – damals als eine von gerade mal zehn Frauen und 299 männlichen Berufskollegen in Deutschland. Entsprechend entflammt ihre Leidenschaft bei Gesellschaftsthemen wie Geschlechterrollen und Rassismus. Kambhu ist sich sicher: Als weisser Mann wäre ihr Weg zur Sterneköchin kürzer gewesen.

BOLERO: Dalad Kambhu, welches ist Ihre früheste Erinnerung an Essen?

DALAD KAMBHU: Meine Nanny lockte mich schon mit Essen aus dem Bett, als ich zwei Jahre alt war und noch keinen Satz sprechen konnte. Sie sagte: «Komm, ich hab dein Lieblingsessen zubereitet!» Das waren eine Art Spaghetti-alla-bolognese-Meatballs, aber thailändisch zubereitet.

Sie sind in Bangkok aufgewachsen. Welchen Stellenwert hatte das Essen in Ihrer Familie?

Oh, wir lieben es, obwohl wir Buddhis- ten sind und per se nicht im Übermass kon- sumieren. Meine Mutter nahm mich als Kind an manchen Tagen früher aus der Schule, um in dieser einen Nudelbar essen zu gehen, ein typisches «hole in the wall». Meine Familie besucht sie heute noch.

Wann hatten Sie das erste Mal den Gedanken, professionell zu kochen?

Das war in New York. Ich ging dort zur Schule und finanzierte mein Leben mit Modeln und Gastronomiejobs. Ich erhielt Einblick in verschiedene Restaurantbetriebe und war immer fasziniert von den Köchen. Aber jedes Mal, wenn ich sagte, dass ich dasselbe machen möchte, meinten sie: «Tus nicht, das ist zu hart für dich.»

Veränderte das Modeln Ihre Einstellung zum Essen?

Erstens: Modeln ist beschissen. Es war die toxischste Zeit meines Lebens. Dieses Gefühl, anderen ausgeliefert zu sein und ständig ein Label verpasst zu bekommen – absolut ätzend. Ich war immer dünn, aber nie ungesund dünn, und wurde mollig genannt – bei 50 Kilogramm auf 1,75 Meter. Das endete in einer Essstörung. Ich hatte das Gefühl, Essen physisch nicht mehr schlucken zu können. Es ging mir eine Weile lang miserabel. Das wünsche ich wirklich keiner Frau.

Wie fanden Sie danach die Liebe zum Essen wieder?

Ich konnte erst wieder Frieden damit schliessen, als ich komplett mit dem Modeln aufhörte. Vor meiner Krankheit habe ich immer gern gegessen. Ich war immer diejenige aus dem Freundeskreis, die die guten Restaurants kannte und wusste, wo es etwa den besten Cheesecake der Stadt gab – hier den luftigsten, da die Old-School-Variante.

Auf New York folgte Berlin. Sie eröffneten 2017 mit der Unterstützung der Berliner Gastronomieunternehmergruppe Grill Royal Ihr erstes Restaurant, das «Kin Dee» – als Autodidaktin. Trauten Sie sich das Projekt von Anfang an zu?

Ich träumte immer davon, eines Tages mein eigenes Restaurant zu haben. Ich freute mich riesig und war furchtlos. Die Gruppe hatte bereits ein sehr erfolgreiches Restaurantportfolio, obschon das «Kin Dee» das erste mit einer Küche von ausserhalb Europas war. Das Konzept, wie in Thailand üblich mehrere Gerichte zum Teilen zu servieren, war neu. Und das erste Feedback schrecklich (lacht)!

Inwiefern?

Unser Konzept war: ein fixes Menü, das geteilt wird. Die Gäste verstanden das nicht. Sie erwarteten, à la Carte bestellen zu können und Papayas und Mangos serviert zu bekommen. Man warf mir vor, dass mein Essen nicht authentisch thai sei. Ich fragte: «Was bedeutet authentisch für Sie?» Viele, die drei Monate das Land bereist hatten, wollten mich über meine Heimat belehren.

Wie gingen Sie als Branchenneuling mit solcher Kritik um?

Die erste Zeit war schwierig, allein schon ein Netzwerk aus lokalen Händlern aufzubauen. Zudem startete ich mit dem falschen Team. Wir hatten nicht den richtigen Manager, meine Köche hörten nicht auf mich ... Ach, es hätte vieles gegeben, was mein erstes Jahr erleichtert hätte. Aber ich entwickelte Unternehmergeist und wollte das Projekt unbedingt zum Laufen bringen.

Das haben Sie geschafft – und 2019 Ihren ersten Michelin-Stern bekommen. Was hat er verändert?

Wir kochten dasselbe Menü am Abend vor und nach dem Gewinn, und die Feedbacks waren komplett verschieden (lacht). Davor war vielleicht ein Viertel der Gäste begeistert, ein Viertel überzeugt, ein Viertel fands ganz okay, und der Rest hinterfragte alles. Am Abend nach der Auszeichnung meinte man unisono, wir hätten den Stern absolut verdient. Aber natürlich gibt es immer noch Leute, die nicht verstehen, dass Sterneküche auch ohne weisse Tischtücher serviert werden kann.

Massimo Bottura sagt: «Um zeitgenössisch zu kochen, muss man zunächst alles wissen und danach alles vergessen» – sprich: die Regeln lernen und sie danach brechen. Einverstanden?

Vielleicht, obwohl ich einen anderen Ansatz verfolge. Natürlich kenne ich die Regeln der thailändischen Küche aufgrund meiner Wurzeln sehr gut. Was im «Kin Dee» für mich zeitgenössisch ist, ist, wie wir das Essen präsentieren, wie ich die Nuancen der Speisen herausarbeite, bis hin zur Namensgebung der Gerichte. Es sind Referenzen, die nur Thais verstehen.

Würden Sie das Kochen als Ihre Berufung bezeichnen?

Nein. Ich glaube, als Menschen sind wir dazu bestimmt, in der Natur zu sein, in ihr zu leben und in ihr zu sterben, ohne übertrieben auf sie einzuwirken – obwohl wir uns offensichtlich dazu entschieden haben, das Gegenteil zu tun ... Das Kochen ist meine Passion, sie ist geprägt von meiner Achtung vor der Natur und meinem Bemühen um Nachhaltigkeit.

«Kochen ist nicht meine Berufung. Aber es ist meine Passion.» – Dalad Kambhu, Köchin

Ist Kochen Kunst oder Wissenschaft?

Beides. Die Zubereitung basiert ja auf naturwissenschaftlichen Prozessen. Das Kunstvolle daran ist aber, dass man genau das gleiche Gericht von zwei verschiedenen Köchen zubereiten lassen kann und etwas komplett anderes entsteht.

Viele Ihrer Freunde sind Kreativschaffende, arbeiten in der Modebranche oder sind Künstler. Würden Sie sich selbst auch als Künstlerin bezeichnen?

Nein. Obwohl meine Freunde jetzt widersprechen würden. Sie sagen oft: «Dalad is an artist!»

Warum identifizieren Sie sich selbst nicht mit dieser Bezeichnung?

Hauptsächlich, weil die Karriere als Köchin nicht gleichermassen geschätzt wird wie diejenige als Künstlerin – obwohl es wirklich harte Arbeit ist. Aber ich habe extrem grossen Respekt vor Kunstschaffenden, sie verschreiben ihr ganzes Leben ihrer Arbeit, jeden Tag und jede Nacht.

Tun Sie das nicht auch?

Ich denke sehr viel über Essen nach, ja. Aber ich bin kein Fan davon, mir ein Label zu geben. Wenn Sie mich fragen, ob ich eine Künstlerin bin, dann ist meine Antwort: Ich hätte eine sein sollen, aber ich bin Köchin. Und eine Geschäftsfrau.

Sie tragen als Restaurantbesitzerin viele Hüte, sind neben Köchin auch Gastgeberin und Managerin. Eine Herausforderung?

Das Schwierige ist, dass man ständig zwei Aufgaben hat, gleichzeitig kreativ und unternehmerisch sein muss und dennoch immer das Gefühl hat, keinem der beiden Ansprüche vollständig gerecht zu werden. Manchmal wünschte ich mir, jemanden vor Ort zu haben, mit dem ich mir die Auf- gaben teilen kann. Meine Businesspartner unterstützen mich zwar im Hintergrund, aber sie stehen nicht mit mir im Restaurant. Das nagte im ersten Jahr extrem an meiner psychischen Gesundheit.

Ist Ihre Küche auf dem Niveau, auf dem sie sein könnte?

Hmm ... Wenn man etwas während einer langen Zeit macht, kann man immer besser werden. Ich glaube, wir sind schon weit gekommen, und ich bin an einem Punkt, an dem ich eine klare Vision meiner Küche habe. Aber ich möchte mich weiterentwickeln, noch besseren Food zubereiten, noch schöner präsentieren. Mit neuen Ideen bin ich aber immer vorsichtig, weil ich nicht will, dass mein Team zwölf Stunden durch- arbeiten muss, höchstens acht oder neun.

Sie scheinen ein sehr enges Verhältnis zu haben zu Ihren Angestellten – allesamt Frauen. Wie führen Sie?

Ich wurde nicht im typisch hierarchischen System trainiert. Mir ist es wirklich komplett egal, ob man mich Chef nennt. Unsere Hierarchie ist sehr flach. Klar, ich habe das letzte Wort, und wenn ich etwas nicht mag, wird es geändert – aber wir sind sehr human. Bei mir bekommt jede die Chance, zu wachsen. Es ist ein bisschen wie in der Montessori-Schule: Eine gewisse Struktur ist da, aber man kann sich frei und kreativ darin bewegen.

Sie setzen sich für Gleichstellung und Frauenrechte ein und machen immer wieder auf die Missstände in der männerdominierten Gastronomieszene aufmerksam.

Was viele nicht verstehen, ist, dass der Weg einer «person of color» unter- schiedlich verläuft, je nachdem, ob sie ein Mann oder eine Frau ist. Ich musste hart arbeiten, um dahin zu kommen, wo ich heute bin, und hätte viele Probleme nicht gehabt, wenn ich ein weisser Mann wäre. Man hätte mich vom ersten Tag an ernst genommen. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre nicht mit den gesellschaftlich vermittelten Limitierungen des Frauseins aufgewachsen. Ich hätte gern mit fünfzehn gewusst, dass ich etwas erreichen kann und wissen darf, was ich will. Stattdessen hörte ich als Mädchen ständig, wie ich mich zu benehmen hatte, was ich tragen sollte und was ich nicht tun durfte – während Jungs so ungezogen sein konnten, wie sie wollten.

«Als Gast hast du immer die Wahl, welches Restaurant du unterstützen willst.» – Dalad Kambhu, Köchin

Hatten Sie je das Gefühl, Teile Ihrer Weiblichkeit aufgeben zu müssen, um gewisse Dinge zu erreichen?

Nein, aber ich konnte nicht kompromisslos ich selbst sein. Es gibt noch immer Köche, die der Meinung sind, ich hätte den Stern nicht verdient. Sie sehen mich nicht als gleichwertig an – vielleicht, weil ich an meinen freien Tagen gern schön gekleidet bin und morgens auch mal ausschlafe. Aber stellt das mein Können infrage? Ich verstehe nicht, weshalb sich diese Gruppe von Herren stattdessen nicht einfach aneinander misst

Ist Berlin ein guter Nährboden für Sie?

Berlin ist roh und real. Es gibt hier eine Energie, die den Kapitalismus zurückstösst und gleichzeitig wahnsinnig progressiv ist. Was ich an Berlin liebe, ist, dass man hier Kinder in einem sehr vorwärtsdenkenden und offenen Umfeld grossziehen kann. Thailand hat eine extrem reiche und tief verankerte Kultur, und es war unglaublich schön, in Bangkok aufzuwachsen, wie ich es tat. Aber der Gedanke, dass Kinder im Alter von zehn Jahren schon über das Konzept von Geschlechtspronomen Bescheid wissen und Teil der grösseren Konversation sind, entspricht mir mehr. Berlin macht mich zu einer besseren Person, und dafür bin ich extrem dankbar.

Kann man als Restaurantbesitzerin, die jeden Tag selbst in der Küche steht, eine Familie gründen?

Wenn ich im «Kin Dee» so weiterarbeite, wie ich es aktuell tue, ist es nicht möglich. Und die Tatsache, dass ich mich zwischen Beruf und Familie entscheiden müsste, ist traurig. Nächstes Jahr wäre es vielleicht realistischer, aber dann müsste ich mich gegen neue Projekte entscheiden, die ich plane. Wir werden sehen.

An wen wenden Sie sich, wenn Sie an sich zweifeln?

Ich habe zwei ganz tolle Mentoren, einer davon ist mein Freund und Künstler Rirkrit Tiravanija, der das Restaurant mit mir konzipiert hat und von dem die meiste Kunst hier drin stammt. Er ist mir enorm wichtig, er hilft mir im Business, in Lebensfragen oder sagt auch einfach mal: «Dalad, du packst das.»

Nachhaltigkeit, Sexismus, die tiefen Löhne – wo liegt unsere Verantwortung als Gast, zum Fortschritt in der Gastronomie beizutragen?

Als Köchinnen und Köche können wir so verantwortungsbewusst arbeiten wie möglich, aber wenn sich die Leute nicht informieren, können wir nur wenig bewirken. Als Konsument hat man immer eine Wahl, genau wie in der Politik. Wählst du Donald Trump oder Joe Biden? Wer in mein Restaurant kommt, fördert Nachhaltigkeit, Frauen und die Integration der thailändischen Küche. Als Gast sollte man sich gut überlegen, welche Institution man unterstützt, auch wenn das Essen gleich exzellent schmeckt.

Im Frühjahr 2023 kochen Sie im Rahmen der «Miele Chef Stories» für eine kleine Gruppe von Gästen in München. Welche Geschichte erzählen Sie mit Ihrem Essen?

Ich hoffe, meine Werte vermitteln zu können, aber auch einfach die Freude am thailändischen Essen.

Kochen Sie eigentlich auch privat?

Für Gäste eher weniger. Bin ich nicht am Arbeiten, schlafe ich lieber.

Wie schaffen Sie es, innovativ zu bleiben?

Indem ich von Leuten in den Hintern getreten werde (lacht)!

Und wenn Sie wählen könnten – wen würden Sie gern einmal bekochen?

Oprah Winfrey. Es wäre unglaublich spannend, mit ihr über ihr Leben und ihre Erfahrungen zu sprechen. Und natürlich Beyoncé!

Dalad Kambhu kocht im Frühjahr 2023 in München im Rahmen der Eventreihe «Miele Chef Stories». Im «Kin Dee» in Berlin serviert sie von Dienstag bis Samstag jeweils ein fixes Abendmenü.

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