Obwohl das Freuenstimmrecht vor 50 Jahren eingeführt wurde, haben Frauen heute weiterhin im Alltag mit Diskriminierung und Benachteiligungen zu kämpfen, was vor allem auf stereotype Rollenbilder zurückzuführen ist.
Was wollen Sie in den Zuschauern und Zuschauerinnen auslösen?
Trotz der Thematisierung der Benachteiligungen, die auch wütend machen kann, ist es uns sehr wichtig, dass das Publikum nach unserem Film inspiriert und mit einem Gefühl des «Empowerments» wieder in den Alltag eintreten kann.
Sechs unterschiedliche Regisseurinnen haben am Film gearbeitet. War das die grösste Herausforderung?
Ja, das Arbeiten im Kollektiv ist natürlich herausfordernd, weil man sich zusätzlich zu den Auseinandersetzungen mit den Themen und den kreativen Entscheidungen zum Film auch immer wieder mit dem Arbeitsprozess selber auseinandersetzen muss. Wie finden wir den Konsens in einer Gruppe von Frauen mit sehr verschiedenen Herangehensweisen? Bei der Arbeit im Kollektiv braucht es einfach eine andere Kommunikationskultur als bei Projekten, die in einer klassischeren Struktur realisiert werden: Es wird viel diskutiert, manchmal auch zwei-, dreimal über die gleichen Dinge, aber es ist wichtig, sich auf diesen Prozess einzulassen, denn genau von dieser Auseinandersetzung lebt das Kollektiv. Doch dieser Prozess wurde durch Corona weiter erschwert. In der Pandemie und Unsicherheit, die sie mit sich brachte, wurde Kommunikation noch wichtiger. Es war toll zu sehen, wie wir gemeinsam Wege fanden, diese wichtige und komplexe Kommunikation – trotz Corona, Social Distancing und dem konstanten Neudenken des Arbeitskonzepts – aufrechtzuerhalten.
Und dann mussten noch die Protagonistinnen gefunden werden. Wie haben Sie sich für diese Frauen entschieden?
Obwohl von Anfang an klar war, dass wir nie alle Frauen der Schweiz in unserem Film repräsentieren können, war es uns wichtig, verschiedene Facetten des «Frauseins» in der Schweiz einzufangen. Wir wurden bei der Suche nach den Protagonistinnen sehr stark von den Kernthemen des Frauenstreikes 2019 inspiriert: Drohende Altersarmut, die Last der Care Arbeit – sowohl beruflich, wie auch privat –, Auseinandersetzung mit Sexualität und Genderthemen, die intersektionelle Diskriminierung von Migranten und Migrantinnen waren Themen, die uns wichtig waren.
Wann haben Sie selbst als Frauen schon einmal Ungerechtigkeit im Alltag erlebt?
Die Ungleichbehandlung und die daraus resultierende Ungerechtigkeit durchziehen unsere Gesellschaft auf jeder Ebene im Beruf, wie im Alltag: Mit uns wird anders gesprochen, uns wird anderes zugetraut oder eben nicht zugetraut, wir werden täglich mit genderspezifischen Erwägungen konfrontiert in Bezug auf was wir anziehen, wie wir kommunizieren, wie wir unser Privatleben gestalten oder wofür wir Verantwortung zu übernehmen haben.
In was für einem Alltag sind Sie gross geworden und welche Werte wurden Ihnen mit auf den Weg gegeben?
Liliane Ott: Ich wuchs in einem reinen Frauenhaushalt auf.
Judith Lichtneckert: Bei mir war es eine Künstlerfamilie mit berufstätigen Eltern, sodass ich früh die Verantwortung für meinen kleiner Bruder übernehmen und Selbständigkeit lernen durfte.
Nach dem Blick in die Vergangenheit schauen wir nach vorne: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Die selbstverständliche Gleichbehandlung aller Geschlechter und Begegnung auf Augenhöhe. Ende von Diskriminierung am Arbeitsplatz und das Aufbrechen von sexistischen Machtstrukturen.
Was macht Sie sonst noch wütend?
Zelebrierte Ignoranz, Intoleranz und toxischer Narzissmus.
Und für was sind Sie gerade dankbar?
Gesundheit und die Möglichkeit, uns in einem offenen und kreativen Umfeld entfalten und wirken zu können.
Kinostart von «Les Nouvelles Èves» ist der 18. November 2021. Der Film dauert 83 Minuten und beinhaltet Schweizerdeutsch, Französisch und Italienisch. Er wird mit deutsch-französischen oder deutsch-italienischen Untertiteln aufgeführt.