VANITAS UND VERWESUNG

Damien Hirst zeigt seine Serie «Cherry Blossoms» in der Fondation Cartier in Paris.

Damien Hirst in studio

Zu Hunderten säumen die altehrwürdigen Kirschbäume die Flussufer Kiotos, zieren die Parks von Kanazawa und verzücken Jahr für Jahr nicht nur die Japanerinnen und Japaner, sondern Touristen aus aller Welt. Nur ein Bruchteil der bauschigen, zartrosa Blüten wird je befruchtet und bringt eine kleine, saure Frucht hervor. Die japanischen Zierkirschen sind so etwas wie eine Verschwendung der Natur.

Vielleicht spielte dieses Paradoxon mit, als sich Damien Hirst (55) die Kirschblüte zum Motiv auserkor. «Bei den Kirschblüten geht es um Schönheit, Leben und Tod. Sie sind extrem – es haftet ihnen fast etwas Kitschiges an. Sie sind schrill und unordentlich und zerbrechlich. Sie sind dekorativ, aber natürlich», sagt der Künstler.

Drei volle Jahre hat er an der Serie gearbeitet. Die Pandemie hat ihm noch mehr Zeit verschafft, «um mit den Gemälden zu leben, sie anzuschauen und wirklich sicherzugehen, dass sie ganz fertig sind». Entstanden sind 107 grossformatige Werke, einige setzen sich aus zwei Teilen, drei oder sogar sechs zusammen.

Mit der Serie fand der Brite zur Malerei zurück: «Ich habe mein ganzes Leben lang eine Romanze mit der Malerei gehabt, auch wenn ich sie gemieden habe. Als junger Künstler reagiert man auf Zusammenhänge, auf die eigene persönliche Situation. In den 80er-Jahren war Malerei nicht wirklich der Weg, den man gehen wollte.»

Hirst knüpft mit seinen Kirschblüten mit spielerischer Ironie an die traditionelle Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts an, vereint dabei Elemente des Impressionismus, des Pointillismus und des Action-Paintings – als hätten sich Claude Monet (1840-1926), Giovanni Segantini (1858-1899) und Jackson Pollock (1912-1956) gleichzeitig ausgetobt.

Die Fondation Cartier in Paris zeigt nun dreissig Bilder der Kirschblütenserie. Es ist die erste Ausstellung des Briten in Frankreich.

                        

Hirsts gesamtes Werk widmet sich Themen rund um Leben und Tod, Exzess und Vergänglichkeit. Gewöhnlich rührt er mit der grossen Kelle an. Ob er nun einen Tigerhai mit aufgerissenem Maul in Formaldehyd steckt – der Raubfisch soll den Tod überwinden, indem er in der Vitrine auf ewig Schrecken verbreitet – oder den Platinabguss eines menschlichen Schädels mit 8601 Diamanten bestückt: Vanitas in extremis. Hirst präsentierte seinen Totenkopf im Juni 2007 in der Galerie White Cube in London, bereits im August 2007 wurde er für rund 75 Millionen Euro verkauft. Auch der Tigerhai wurde teuer erworben: Der amerikanische Kunstsammler und Hedgefonds-Manager Steven A. Cohen (64) bezahlte über neun Millionen Euro für das Werk und platzierte es in der Lobby seines Unternehmens.

Die rekordhohen Verkaufszahlen stehen im krassen Gegensatz zu den Karriereanfängen des heute 55-Jährigen, der einst als junger Wilder mit entschiedener Anti-Kunstmarkt-Haltung galt. Damals drehte Hirst Musikvideos und produzierte Pop-Songs. 1988 organisierte er die Ausstellung «Freeze» in London, die als Geburtsstunde der Bewegung Young British Artists gilt. Hirst wurde deren bekanntester Vertreter und brachte es mit seiner Kunst schon kurze Zeit später zu beachtlichem Reichtum. Mit geschätzten 560 Millionen Euro Vermögen gilt er als meistverdienender Künstler Grossbritanniens.

So beeindruckend schön manche Werke von Hirst sind, so fehlen doch nicht selten Ironie und Verweise auf die gesellschaftliche Verfassung. Für die Installation «Lullaby, the Seasons» (2002) beispielsweise kreierte er eine Serie aus vier Arzneischränken, je 2,75 Meter auf 1,83 Meter, in denen je 6000 Pillen gelagert sind, handgefertigt und bemalt, aus Gips. Die Tabletten in den verglasten Kabinettschränken sind äusserst dekorativ. Das Werk kann aber durchaus auch als Spiegel einer Gesellschaft gelesen werden, die süchtig ist nach Betäubung und Euphorisierung.

Der Frühling brachte es in diesem Fall übrigens zu besonderer Blüte: Während «Lullaby Winter» bei Christie’s in New York für fünf Millionen Euro versteigert wurde, brachte es «Lullaby Spring» nur wenige Wochen später bei der Londoner Auktion von Sotheby’s auf über 14 Millionen Euro.

Das Obsessive im Schaffen von Hirst ist nicht wegzureden. Ein Beispiel dafür sind seine «Spot Paintings»: Die Gemälde aus kleinen Punkten sind eigentliche Farbstudien, peinlich genau angeordnete Kreise in unterschiedlichen Farben, wobei der Abstand zwischen den einzelnen Punkten immer so gross ist wie die Punkte selbst.

Er habe bei seiner Malerei nach einem Weg gesucht, wie er Farbe auf die Leinwand bringen und sie kontrollieren könne, hat er einmal gesagt. Kontrolle scheint häufig Antrieb zu sein für den britischen Künstler: Kontrolle über ein Raubtier, Kontrolle über Farben und Ordnung, Kontrolle über den Tod. Nun also Kirschblüten. Ein Versuch, die Schönheit der Natur zu konservieren? Im normalen Leben ist das Spektakel nach gut zwei Wochen vorbei. Da sind die Gemälde von Damien Hirst beständiger.

Damien Hirst, «Cherry Blossoms»

Fondation Cartier, Paris

von 6. Juli 2021 bis 2. Januar 2022

fondationcartier.com

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