Seelenspiegel

Louise Bourgeois x Jenny Holzer im Kunstmuseum Basel

Jenny Holzer kuratiert eine Ausstellung über ihre Freundin Louise Bourgeois. Die Hommage in Basel geht unter die Haut. Die feministischen Ikonen der Kunst haben sich viel zu sagen.

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Die Salons von Louise Bourgeois (1911-2010) waren legendär. Der Grund war vor allem sie selbst. Bald neunzig war sie, als die Grande Dame der amerikanischen Kunst an Sonntagen in die Bibliothek ihres Brownstones in Chelsea, New York, zum Gedankenaustausch lud. Künstler und Kuratoren kamen, Schriftsteller und Dichter, Kreative. Doch sie war es, die den Takt angab, lauthals schwieg oder rasierklingenscharfe Bemerkungen fallen liess. An einige dieser Soirées kam auch Jenny Holzer (71). Das heisst etwas, denn nach eigenem Bekunden ist sie eher eine Einsiedlerin. Zwei feministische Ikonen mit neununddreissig Jahren Altersunterschied in einem Raum. Beide mit einem Faible für sehr trockene, manchmal sehr erschreckende Kommentare zu den essenziellen Dingen des Lebens.

Man wäre gern Mäuschen gewesen. Es soll Künstler gegeben haben, die das Haus traumatisiert verliessen. Andere erlebten Sternstunden. Jenny Holzer gehörte zur zweiten Gruppe. Sie und Bourgeois hatten sich etwas zu sagen, auch ohne viel zu reden. Vielleicht, weil sie ihren Perfektionismus und ihre Obsessivität teilten und die Kämpfe, die eigene Künstleridentität vor der Mutterrolle zu verteidigen. «Bourgeois sprach davon, dass sie immer wieder versucht, ein Kunstwerk so zu realisieren, dass es perfekt ist», sagt Holzer. Sie hätten «über Farbe und über die Ernsthaftigkeit, Notwendigkeit und fast Unmöglichkeit, die richtigen künstlerischen Entscheidungen zu treffen» gesprochen. Holzer teilt Bourgeois’ Leiden an Perfektionismus. Zwar kam der Durchbruch für sie bereits in den Dreissigern – Bourgeois musste darauf warten, bis sie siebzig war –, doch auch Holzer ist der Durchsetzungskampf nicht fremd. «Ich kenne das Dilemma, dass Frauen nicht immer den Raum, die Ermutigung, die Anerkennung und die Macht haben, das zu schaffen, was ihnen wichtig ist.»

Als ich Jenny Holzer mal auf ihrer Farm in Hoosick besuchte, einer Kleinstadt im Norden von New York, fragte ich sie, was sie über folgenden Satz von Louise Bourgeois dachte: «Künstlerin zu sein, ist sowohl ein Privileg als auch ein Fluch.» Sie nickte. «Künstlerin zu sein, ist der beste und der schlimmste Beruf. Der schlimmste, weil wir ständig von Selbstzweifeln geplagt sind.» Sie hielt inne, dachte nach und sprach weiter. «Vielleicht spielte Louise auf die Tatsache an, dass viele Künstler gequälte Individuen sind. Andererseits: Was gibt es Schöneres, als jeden Morgen aufzuwachen und aus dem Nichts etwas zu schaffen?»

In Holzers privatem Büro stapelten sich schon damals Bourgeois-Kataloge auf dem Pult – lange bevor sie wusste, dass sie einmal eingeladen werden würde, eine ganze Ausstellung über Bourgeois zu kuratieren; sie besitzt auch Werke von ihr. Die beiden Frauen blieben befreundet, in respektvoller Distanz, schickten einander Weihnachtskarten.

Auch Josef Helfenstein (64), Direktor vom Kunstmuseum Basel, war oft bei Bourgeois zu Gast. Während zwölf Jahren Direktor der renommierten Menil Collection in Houston, Texas, ist Helfenstein in der amerikanischen Kunstwelt gut vernetzt. Er wusste von der freundschaftlichen Verbindung zwischen Holzer und Bourgeois und wollte das Ausstellungsprojekt ursprünglich in Houston durchführen. Dazu kam es nicht. Dafür jetzt in Basel. Mehrfach reiste Holzer zu ihm in die Schweiz, tauchte in die vierhundert Jahre alte Basler Kunstsammlung ein. Während der Pandemie wurden die Fäden digital weitergesponnen. «Jenny Holzer bekam eine Carte blanche», sagt Anita Haldemann, Co-Kuratorin der Ausstellung. Der Blick durch ihre Brille erwies sich als eine sehr emotionale Auseinandersetzung mit Bourgeois’ Kunst.

Wann immer Jenny Holzer ein Projekt verfolgt, wird in ihrem Studio in Brooklyn ein Räderwerk in Gang gesetzt. Emsige Assistenten schauen nonstop auf ihre Bildschirme, obwohl sie eine prächtige Aussicht auf Manhattan hätten. Sie machen Recherchen, organisieren Materialien und klären Bildrechte ab. Der eingeschworene Mitarbeiterstab ermöglicht, was die Chefin, ein Workaholic, in durchwachten Nächten ausheckt. Bei der Konzipierung der Bourgeois-Ausstellung ging sie nicht anders vor als bei ihren eigenen Kunstprojekten – kühl-strategisch und obsessiv-ausufernd. Mit einem ganzen Produzentenstab im Rücken. Diesmal in Brooklyn, Basel und London.

Es gibt offensichtliche Verbindungen zwischen Bourgeois und Holzer. Beide betreiben hintersinnige Wortkunst, die innere Spannungen freilegt. Beide setzen Alltagsmaterialien ein: Louise Bourgeois etwa stickte Sätze auf zartfarbige Taschentücher oder Damenunterwäsche. Jenny Holzer bedruckte ihre berühmten Truisms wie «Protect me from what I want» auf T-Shirts und Baseball-Caps. Beide teilen die Lust am Sarkasmus, auch in Bezug auf die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. (Holzer etwa schuf den entwaffnenden Satz «Romantic love was invented to manipulate women»). Trotzdem könnten ihre Kunst, ihre Prägungen und ihre Herkunft oberflächlich betrachtet kaum unterschiedlicher sein.

Louise Bourgeois wurde 1911 in bürgerliche Kreise in Paris geboren, die Eltern betrieben eine Restaurierungswerkstatt für Tapisserien. Von 1938 bis zu ihrem Tod 2010 lebte sie in New York. Jenny Holzer ist ein Kind des Mittleren Westens, geboren 1950 in Gallipolis, Ohio. Der Vater war Ford-Händler und der sehr vermögende Grossvater die dominante Figur, von dem die gesamte Familie abhängig war. Holzer erfuhr den Drill durch die frühe Teilnahme an Reitwettbewerben, lief schliesslich weg von zu Hause, zog nach New York. Beide Frauen erlebten die Auswüchse patriarchaler Machtverhältnisse am eigenen Leib.

Für Bourgeois wurden die Kindheitserfahrungen ganz direkt zum Nährboden ihrer Kunst. «Das Thema des Schmerzes ist mein Geschäft: der Frustration und dem Leiden einen Sinn und eine Form zu geben.» Ein Satz, der ebenso gut von Jenny Holzer stammen könnte. Doch während Bourgeois von Beginn weg Persönliches verarbeitete – das Verhältnis von Geborgenheit und Abhängigkeit und das Schicksal der unfreiwillig häuslichen Frau –, sublimierte Jenny Holzer auf einer politisch-gesellschaftlichen Ebene. Bourgeois thematisierte ganz offen das angespannte Verhältnis zum Vater, einem notorischen Fremdgänger, ihr Urtrauma. Erdrückt von seiner Allmacht, erzählte sie einmal, habe sie am Esstisch angefangen, aus Brot kleine Figuren zu kneten. Es waren ihre ersten Skulpturen. Das Motiv der Femme Maison, der Geschlechterkampf, das Klaustrophobische kehrten immer wieder zurück – in Installationen, die aussehen wie Käfige, in deformierten Marmorfiguren, die mal an Phalli, mal an Brüste erinnern.

Was also interessiert eine früh emanzipierte Feministin wie Holzer an einer «Femme Maison», und was findet die Politaktivistin, die brisante Themen wie den Irakkrieg, US-Präsidentschaftswahlen, Massenvergewaltigungen in Bosnien, die Aids-Krise oder Donald Trumps Pandemie-politik künstlerisch verarbeitet, in der Kunst von Bourgeois, die so unerbittlich aus dem Intimen und Privaten schöpft?

Holzer ist bekannt als verführerische Arrangeurin und Produzentin von immersiven, lichtintensiven Räumen und wortstarken LED-Installationen, in denen sie Unrecht anprangert. Im Kunstmusem Basel aber lässt sie Bourgeois sprechen. Mal ganz leise und behutsam, mal lauthals. Von dem, was im Unbewussten lauert. Von sexueller Gewalt und von Rachefantasien. Vom Kampf zwischen Isolation und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Die von Holzer gelegte Louise-Bourgeois-Spur mäandert vom Neubau durch neun Räume über den unterirdischen Verbindungsgang in zwei Grafikkabinettssäle im Hauptbau, kriecht um die Aussenhülle über den LED-Fries (mit Textfragmenten aus Bourgeois’ Archiv), dehnt sich weiter aus als Lichtschriftprojektionen auf Fassaden öffentlicher Basler Gebäude bis hin in den virtuellen Raum. Holzer setzt alles daran, dass einem Louise Bourgeois den Nacken hochkriecht. Sogar ihre Stimme kann man hören: keine Einbildung, sondern eine Soundinstallation in Liften und auf den Toiletten.

Holzers Sensorium für die Themen von Bourgeois ist fein kalibriert. In Zusammenarbeit mit dem Bourgeois-Nachlass förderte sie selten oder nie Gezeigtes zutage. Etwa die neun mit Parabeln kombinierten schwarz-weissen Kupferstiche aus dem frühen Bildband «He Disappeared into Complete Silence» (1947). Die Blätter markieren das Leben nach Bougeois’ Heirat mit dem Kunsthistoriker Robert Goldwater, ihre Übersiedlung von Paris nach New York, drehen sich um Isolation und Entfremdung, um das Scheitern von Kommunikation. Holzer stellt sie Miniaturskulpturen gegenüber, auf Regalen in Reih und Glied gestellt.

Zwitterwesen aus Frau und Tier mit voluminösen Brüsten und Tierpranken aus mit rotem Wachs überzogenem Fiberglas sind zu sehen oder das Schlüsselwerk «The Destruction of the Father» aus dem Jahr 1974, das Holzer extra von New York in die Schweiz transportieren liess. Das höhlenähnliche Gebilde ist rot ausgeleuchtet, im Innern befinden sich mit Latexgummi überzogene Gipsabgüsse von Fleischstücken. Holzer selbst bezeichnet die Installation als «erschreckend». Das albtraumhafte Objekt mit phallischen Auswüchsen und biomorphen Formen, die sich zu einem Schreckensarrangement dunkler Sexualität verbinden, ist Symbol für die Rachegefühle der Tochter gegenüber ihrem Vater. Denn Inspiration für das Tableau soll ihre Fantasie gewesen sein, dass die Familie, der selbstzufriedenen Prahlerei des Vaters überdrüssig, ihn zerstückelt und verspeist. Holzer erweckte die Installation sogar als immersives, multisensorisches Augmented-Reality-Erlebnis zum Leben. Dass dies alles mit einem gewissen Risiko verbunden ist, ist Holzer bewusst. «Mein Hijacking von Bourgeois ist vielleicht ein bisschen anmassend, aber ich meine es gut!»

Der narrative Faden mit seinen Knotenpunkten, die sich um Erinnerung, Mutterschaft, Trauma und Kreativität drehen, wird weitergespinnt, bis man zu einem Raum gelangt, der – ausgekleidet mit Bourgeois’ Zeichnungen in Rot (ihre Lieblingsfarbe) – wirkt, als sei er mit Blut getränkt. Im unterirdischen Gang stösst man dann auf zwei monumentale, schwarz gestrichene Eisenbahntankwagen. Auf einem Gleis, langsam aufeinander zu- und voneinander wegfahrend, markieren sie das späte Auftrumpfen von Bourgeois in der Kunstwelt. Achtzigjährig war sie, als sie 1991 «Twosome» schuf, ein wuchtiges Statement, mit dem sie auf den Punkt brachte, worin sie den Kern des menschlichen Daseins sieht: in der Dynamik zwischen Anziehung und Abstossung, Isolation und Zusammengehörigkeit, Vereinigung und Trennung.

Doch damit nicht genug: Im Hauptbau lädt Jenny Holzer Louise Bourgeois zum intimen Gespräch mit alten Meistern. Holzer schont ihr Publikum nie, und so dreht es sich nicht etwa um die schönen Dinge, sondern um Gewalt, Leiden und Tod. Im Lichte von Hans Holbeins «Totem Christus im Grab», 1521/22, einer gut zwei Meter langen, hyperrealistisch bemalten Holztafel (bei ihrem Anblick soll der russische Dichter Fjodor Dostojewski einst einen epileptischen Anfall erlitten haben), erinnern die «Three Horizontals», 1998, von Bourgeois, drei rosarote, übereinanderliegende Textilfiguren, an den Tod.

Wie eine Bauchrednerin lässt Holzer Bourgeois mit ihrer suggestiven Bild- und Schriftwelt zu den früheren Gewaltdarstellungen sprechen, um leise über die «condition humaine» zu sinnieren. Die Bourgeois-Texte laden zu neuen Interpretationen alter Meisterzeichnungen von Niklaus Manuel ein. Hier wird sich die babylonische Thisbe gleich aus Liebeskummer erdolchen («Pyramus und Thisbe», 1513/14). Da greift ein Skelett einem Mädchen unter den Rock («Der Tod und ein Mädchen», 1517). Und Judith, die Überwinderin des Bösen, hält einen aufgespiessten Männerkopf in die Luft («Judith mit dem Haupt des Holofernes», erste Hälfte des 16. Jahrhunderts). Holzer führt uns die ganze Brutalität der antiken Mythologie und christlichen Lehre vor Augen, deren grausame Themen sich immer von Neuem aktualisieren.

Spätestens jetzt wird klar, dass die beiden Künstlerinnen viel mehr verband als die Sprache, nämlich das Aufbegehren gegen Machtdemonstrationen aller Art. Ihre fast zwanghafte Angewohnheit, messerscharf zu formulieren, dabei aber immer auch Raum für Widersprüchliches und Paradoxes zu lassen. Der innere Antrieb, mit ihrer Kunst Machtmissbrauch öffentlich anzuklagen. Nur mit dem Unterschied, dass er sich bei Bourgeois auf die kleinste Zelle, die Familie, bezieht, bei Holzer auf die politische Bühne, Kriege, die Gesellschaft.

Wieder möchte man Mäuschen sein im Sonntagssalon. Sprachen die zwei Künstlerinnen etwa nicht nur über Kunst, sondern auch über ihre fieberhaften Schreibschübe, über Holzers geradezu manische Gewohnheit, TV-News zu schauen und Akten der US-Regierung zu studieren? Über die familiären Verstrickungen in Ohio oder Paris? Über Männer? Über Kunst als Überlebensmechanismus und Befreiungsschlag?

Eher nicht. Sie – und ihre Kunst – verstanden sich auch so. Holzers grosse Bourgeois-Schau erscheint jedenfalls nicht nur als Hommage, sondern auch als eine Art eigener Seelenspiegel.

«Louise Bourgeois × Jenny Holzer. The Violence of Handwriting Across a Page», Kunstmuseum Basel, bis 15. Mai 2022. Kuratiert von Jenny Holzer und Anita Haldemann.

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