Walter Pfeiffer: Müde bin ich und erschöpft. Ich habe gerade sechs Wochen durchgearbeitet. Wenn ich so jung wäre wie du, wäre das alles kein Problem. Aber je älter man wird, desto schneller ist man am Limit.
Denkst du nie an den Ruhestand?
Doch, aber was soll ich dann? Ruhestand, wie stellst du dir das vor? Den ganzen Tag im Café sitzen? Ich gehe doch jetzt noch nicht ins Heim! An sich mache ich meine Arbeit ja gern. Momentan würde ich einfach lieber etwas weniger reisen.
Deine Karriere erreicht immer noch ständig neue Höhepunkte.
Ich bin froh, haben die Leute am Ende doch noch die Qualität meiner Arbeit erkannt. Man sagte oft zu mir: «Oh, Walti, so talentiert, aber schade hast du keinen Erfolg.» Als der Durchbruch endlich kam, war ich schon Anfang sechzig. Obwohl, ich selber habe mich eigentlich immer erfolgreich gefühlt, wenn ich meine Arbeit als gut empfand. Ich bin nie auf dem Zeitgeist rumgeritten. Ich habe in den 1970er-Jahren Bilder gemacht, die ich auch heute noch mag. Die Modelle waren so schön, und es ist mir gelungen, ihre Schokoladenseite einzufangen. Mir war immer wichtig, dass das Modell gut aussieht, besser als im echten Leben.
«Ich habe in den 1970er–Jahren Bilder gemacht, die ich auch heute noch mag.» – Walter Pfeiffer, Künstler
Man ist ja meistens unglücklich mit den Fotos, die von einem gemacht werden.
Ach was, bei dir ist es doch einfach, ein gutes Foto zu machen!
Jetzt richtet das Swiss Institute in New York eine grosse Retrospektive für dich aus. Was bedeutet dir diese Ausstellung?
Sie ist nicht nur deshalb besonders aufregend, weil es meine erste Einzelausstellung in den Vereinigten Staaten ist, sondern auch, weil ich hauptsächlich Arbeiten zeige, die der Öffentlichkeit noch nie zuvor präsentiert worden sind. In diesen Fotos, Gemälden, Collagen und Videos kommt mein Interesse am Alltäglichen und am Glamourösen zum Ausdruck.
Was verbindest du mit New York?
Erinnerungen an alte Zeiten. 1980 durfte ich als Atelierstipendiat der Stadt Zürich nach New York reisen. Aber die Stadt hat sich natürlich wahnsinnig verändert seit damals.
Du hast zu Beginn deines Schaffens vor allem gemalt und gezeichnet. Wie kamst du zur Fotografie?
Ich war für die Leute immer der Illustrator, der Grafiker. Dann bewarb ich mich bei den Schweizer Kunststipendien, und alle haben die Nase gerümpft: «Jetzt will der auch noch Künstler sein.» Schliesslich wurde ich zwar als Fotograf wahrgenommen, aber niemand hat Fotografie als Kunst anerkannt, besonders meine nicht. Ich habe ja jedes Bild geblitzt – künstlerische Fotografie musste damals aber gekonnt ausgeleuchtet sein. Heute werde ich hauptsächlich als Modefotograf bezeichnet, worüber ich mich lange grün und blau geärgert habe. Mittlerweile ist es mir aber egal, wie mich die Leute nennen. Dass ich angefangen habe zu fotografieren, war eigentlich Zufall. Ich habe mir eine kleine, billige Polaroidkamera gekauft, mit der ich die Vorlagen für meine Illustrationen fotografiert habe. Zu der Zeit kamen oft Freunde zu mir an die Weite Gasse in meine Einzimmerwohnung, in der ich wohnte und arbeitete, und ich habe ihre Besuche mit der Kamera festgehalten. Danach sind wir jeweils feiern gegangen. Eine Zeit mit wenig Schlaf!
Anfangs hast du hauptsächlich die Freundinnen und Freunde fotografiert, die bei dir ein und aus gingen. Wie findest du deine Modelle heute?
Komischerweise werde ich heute oft direkt angefragt. Erst letzthin schrieb mir jemand: «Sie machen so lässige Bilder, können Sie mich mal fotografieren?» Ich gehe selten aktiv auf Leute zu. Eigentlich würde ich ja sehr gern Leute auf der Strasse ansprechen, aber das ist heikel. Man muss höchst professionell sein, sonst wird man schnell als Glüschtler abgestempelt.
Was zeichnet ein gutes Modell aus?
Profimodels interessieren mich selten, da kommt nicht mehr viel Spontanes. Die ganz Guten sind aber auch nach tausend Shootings noch sich selbst. Und wenn sie Mitleid mit dem alten Zittergreis haben, geben sie sich Mühe für mich.
Deine Zürcher Wohnung ist zeitgleich dein Atelier. Hattest du nie das Bedürfnis, Freizeit und Arbeit deutlicher zu trennen?
Nein, das ging bei mir schon immer fliessend ineinander über. Höchstens in den Ferien vielleicht. Ich hatte vor etwa hundert Jahren mal ein Atelier. Da musste ich nach all der Arbeit spätnachts noch nach Hause fahren. Nervig!
Wie entspannst du dich denn?
Ich gehe laufen – solange ich das noch kann.
Ich habe mal in deinen Kühlschrank geschaut, da waren nur analoge Filme drin.
Das ist gelogen! Da war ich zuvor vielleicht gerade unterwegs. Normalerweise ist mein Kühlschrank voll mit Gemüse, Früchten und allem, was ich zum Kochen brauche. Nur im obersten Fach liegen Polaroidfilme. Die sind heute aber leider nicht mehr so gut wie früher. Richtig grauenhaft! Mit denen möchte ich gar nicht fotografieren. Bist du verliebt?
Vor zwei, drei Jahren zum letzten Mal. Jetzt habe ich wirklich genug davon. Es war meist schlimm für mich. Ich habe immer die Schönen, die Falschen erwischt, also die Heterosexuellen. Ich brauchte ein Ventil für all den Frust, und das fand ich in der Fotografie. Es hat mir gutgetan, die «Bubis» zu porträtieren, ihre Schönheit einzufangen. Die wussten nämlich gar nicht, wie schön sie sind. Heute weiss das jeder, und alle sind es sich wegen der iPhones gewohnt, ständig fotografiert zu werden. Wie findest du iPhone-Fotos? Meine werden immer schrecklich.
Du bist in der Kunst- und der Modewelt gleichermassen gefragt, fotografierst zum Beispiel auch Kampagnen für Brands wie Bottega Veneta. Macht es einen Unterschied, ob du jemanden für eine Ausstellung oder für ein Modemagazin ablichtest?
Nicht wirklich. Ich musste ja nicht meinen Stil ändern für die Modefotografie, und ich probiere auch bewusst, mich nicht anzupassen. Bei Auftragsarbeiten habe ich natürlich einen tollen Assistenten, der mir hilft. Aber die Modefotografie ist für mich trotzdem eine Herausforderung. Man muss performen und schnell sein. Die Anspannung ist jeweils gross. Aber ich brauche das, sonst wird mir langweilig.
Du warst berüchtigt, pro Sujet immer nur einmal abzudrücken.
Und das habe ich auch lange beibehalten. Aber mir wurde dann nahegelegt, ich solle mehr Bilder schiessen. Zu viele mache ich aber nicht, mir würde es stinken, mich immer durch all diese Fotos durcharbeiten zu müssen.
Du hast das ja eh im Gefühl.
Genau. Die haben alle gesagt: «Make more!» Dabei wusste ich ja, dass ich das gute Bild bereits hatte. Dann habe ich halt einfach pro forma noch ein paar mehr gemacht.
Welchen Rat würdest du jungen Künstlerinnen und Künstlern mit auf den Weg geben?
Beweist Durchhaltevermögen. Es gibt immer wieder Shootingstars, die werden hochgejubelt und dann plötzlich fallen gelassen. Das muss man aushalten können. Man hofft auf den grossen Erfolg, aber wenn der nicht kommt, muss man trotzdem weiterarbeiten. Und man darf sich ja nicht von leeren Komplimenten blenden lassen, denn die gibt es zuhauf. «Oh, Walter, I am such a big fan!» Man darf nie eingebildet werden. Man sollte immer nett sein zu den Leuten, niemanden vom hohen Ross herunter behandeln. Sonst: Viel Glück! Und einen eigenen Stil haben sollte man auch. Wenn man jung ist, hat man natürlich Vorbilder, aber irgendwann muss man etwas Eigenes entwickeln.
Du hingegen wirst jetzt ja überall imitiert. Was macht das mit dir?
Das finde ich schön! Aber ich merke es eigentlich gar nicht mehr. Die Jungen können ja eh alles besser als ich, technisch sind die viel versierter. Ich vergesse alles immer gleich wieder. Jetzt habe ich zum Glück Assistenten, wenn es professionell sein muss.
Gibt es einen Luxus, den du dir gönnst?
Vor unserem Gespräch habe ich Osterküchlein in der Migros gekauft, das sind meine liebsten. Und jetzt freue ich mich darauf, ein halbes zu essen.
«Wenn man jung ist, hat man natürlich Vorbilder, aber irgendwann muss man etwas Eigenes entwickeln.» – Walter Pfeiffer, Künstler
Info:
«Walter Pfeiffer | The Face» ist bis zum 28. August 2022 im Swiss Institute in New York zu sehen.