Alexandra Bachzetsis' getanzte Genderforschung

Der Körper als Spektakel

Wir inszenieren uns jeden Tag aufs Neue. Doch wozu und nach welchem Plan? Alexandra Bachzetsis seziert subtil die Sprache unserer Körper.

Alexandra Bachzetsis

Alexandra Bachzetsis (47) ist ein Chamäleon. In einem Moment sieht man sie im eng anliegenden, schwarz glänzenden Latexkleid, tanzend wie eine Schlangenfrau im erotisch-hypnotischen Solo. Im nächsten liegt sie auf dem Boden, das Kleid hochgezogen, in nüchterner, sportlicher Gymnastik. Schliesslich morpht sie zu einem androgynen Körper im dunklen Anzug mit zusammengeknotetem Haar: Alexandra tanzt zu griechischer Musik, greift sich dabei in den Schritt. Im Stück «Private Song», 2017 an der prestigeträchtigen Documenta 14 mit zwei Co-Performern uraufgeführt, auf einem schwarz-weissen Schachbrettboden, halb Fitnessraum, halb griechischer Dorfplatz, kamen Gewissheiten ins Wanken, und sicher war nur eines: Jede Darstellung der Figuren war ein Konglomerat aus Eigenem und Fremdem, aus Konventionen und Fantasien, und genderfluid.

Mit dem Stück begibt sich Alexandra Bachzetsis in eine Art getanzte Genderforschung, aber auch auf eine private Spurensuche. Die Subkultur des Rebetiko, eines griechischen Musikstils, dem sie im Stück nachgeht, war in den 1920er-Jahren als eine Antwort von griechischen Flüchtlingen aus Anatolien auf das Thema des Verlustes entstanden. Indem sie in «Private Song» den Zeibekiko tanzt, einen improvisierten, traditionell Männern zugeordneten Tanz, untergräbt sie althergebrachte Gendermuster und stiftet produktive Verwirrung.

Alexandra Bachzetsis wurde in Zürich geboren und ist die Tochter eines Griechen und einer Schweizerin. Ihre eigene duale Identität fügt sich zu ihrer vielschichtigen professionellen: Sie ist Choreografin und Tänzerin, Künstlerin, Regisseurin von Bildern, Installationen und Videos. Mit dem Röntgenblick durchleuchtet sie gesellschaftliche Mechanismen, als gelte es, einen Bauplan freizulegen. Ihre Texte dazu formuliert sie in sehr präzisem Vokabular.

Ebenso akkurat konstruiert sind ihre Performances, nichtsdestotrotz aber sinnlich. Dabei werden wir immer wieder mit einem Déjà-vu-Effekt konfrontiert. Kein Wunder. Dem Repertoire, dessen sie sich bedient, sind wir selber tagtäglich ausgesetzt. Es besteht aus den massenhaft zirkulierenden Bildern, den Bewegungsmustern und Gesten aus Mode, Videoclips und Fernsehen. Bachzetsis untersucht den Einfluss dieser Fantasiegebilde auf unsere Körper und Psychen, erforscht die Prozesse, in denen wir uns laufend neu entwerfen.

Damit hat sie bei ihrem feinnervigen Publikum Erfolg. Die Choreografin, die im Kunstzentrum Stuk in Leuven, Belgien, und am DasArts in Amsterdam Performance studierte, hat mit ihren dreissig Stücken, die sie seit Beginn der 2000er-Jahre geschaffen hat, Museen vom MoMA in New York bis zur Tate Modern in London sowie diverse internationale Tanzbühnen erobert. Und Preise gewonnen: den Migros-Kulturprozent-Jubiläums-preis 2007, den Swiss Art Award 2011 und 2016, den Performancepreis Schweiz 2012 und 2018 den Zürcher Kunstpreis. Mit ihrem jüngsten Stück «2020: Obscene» tourt sie aktuell in Lissabon, Basel, Zürich, Bern, Helsinki, Lausanne und Genf.

Den Körperbewegungen ihrer Figuren zu folgen, ist wie Buchstaben lesen: Sie erzählen von Klischees, von Verführung, vom Fitnesswahn, von der Macht der Körpersprache und der Posen. Die Montagetechnik, die Bachzetsis anwendet, hilft, in unserem Verhalten Skurriles und Absurdes zu erkennen. Was stellen wir eigentlich Tag für Tag dar – und für wen? Was ist nur Posing, was ist real? Was ist im Zeitalter der Selfies überhaupt noch echt? Sind wir etwa nur Collagen der Bilder aus der Fashionindustrie? Wandelnde Werbeclips?

Bolero: Ihr neuestes Projekt wird mit einem Bild beworben, das eine Frau mit halb nacktem Hintern in Tangaslip und Stilettos zeigt, in geradezu rührender Umarmung mit einer genderneutralen Person. Irgendwie clasht da etwas. Was möchten Sie uns mit diesem Bild zeigen?

Alexandra Bachzetsis: Ich benütze meinen eigenen Körper und die Körper der anderen als Kommunikationsmittel. Mich interessieren gerade diese subversiven Realitäten als Spannungsbogen einer Versuchsanordnung. Ich arbeite abstrakt und assoziativ an der Montage meiner Arbeit, nicht narrativ. In «2020: Obscene» werden diese Grenzen der Binarität ausgelotet und ihrer Unzeitlichkeit überführt. Ich glaube nicht an männlich/weiblich, ich arbeite mit der Konvention dieser Begriffe und entfremde sie ihrer herkömmlichen Konnotation innerhalb der Versuchsanordnung der Choreografie. Die Attribute der Maskulinität sind in meinem eigenen Körper ein Ort des Begehrens und Verlangens, genauso wie ein konstanter Dialog zwischen der theatralischen Performanz und mir selbst. Das Thema des Duetts etabliert sich in der Arbeit durch verschiedene Konstellationen der Geschlechter. Die Austauschbarkeit der wiederholbaren Gesten und Dialoge und die Unwiderstehlichkeit der Körper ergeben eine Studie zum Unheimlichen.

Worum geht es in «2020: Obscene» genau?

Es wird die gegenseitige Abhängigkeit zwischen der «Szene» (dem Spielen und dem Inszenieren) und dem Obszönen performativ erforscht. Der Fokus liegt auf dem Verhältnis zwischen dem In-Szene-Setzen der exzessiven Körper und deren Verschlingen durch den begehrenden Blick. Einerseits wird Theater als Manipulationsmaschine in Bezug auf Verführung, Anziehung und Spiel mit der Sexualität problematisiert, andererseits wird der performende Körper selbst als Ort der Entfremdung untersucht. Die Performerinnen und Performer werden mit ihrer eigenen Körperlichkeit konfrontiert, das heisst mit den Widersprüchen zwischen Intuition und Geste, zwischen Partitur und Skript, zwischen Vorstellungs- und Handlungsmustern. Dies erfolgt durch das Spiel mit etablierten ästhetischen Formaten wie Tanzstück, Theaterspiel, Kunstperformance, Konzert, Talkshow, Film, Live-Streaming, Videoclip oder Dokumentation. Somit wird nicht nur die Frage nach dem Subversiven und Normativen in der Performancepraxis gestellt, sondern auch das Kommunizieren durch Exzess als performative Unterbrechung von Formaten, Gesten und Archetypen thematisiert.

«Es ist immer wieder eine Mutprobe, sich selbst als Material zu benützen.» Alexandra Bachzetsis, Choreografin und Tänzerin, Künstlerin und Regisseurin

In Ihrer Videoarbeit «A Manual for Desire», die Sie in Ihrer Soloshow in der Galerie Karma International aufführten, sah man Sie mit pinkfarbenen Stilettos, grossem Busen und blonder Perücke. Sie verwandeln sich in den Archetyp der Sexbombe. Nur wirkt er bei Ihnen wie eine Karikatur. Worum ging es Ihnen dabei?

Das Spiel mit Archetypen beschäftigt mich seit Beginn meiner Arbeit. Ich benütze diese Formen und Rahmenbedingungen spielerisch und verfremde sie in Bezug auf ihre herkömmliche, verfestigte, konventionelle Präsenz. Mich fasziniert einerseits das Spiel mit der morbiden Realität dieser Archetypen und andererseits die Konstruktion des Humors. Archetypen sind mächtige, stark codierte Gesten. Sie repräsentieren die dem kollektiven Unbewussten zugehörig vermuteten Grundstrukturen menschlicher Vorstellungs- und Handlungsmuster. Mich interessiert die Dynamik der Imagination sowie die Interpretation der ästhetischen Prägung dieser Charaktere.

Andere Ihrer Choreografien wie zum Beispiel «Escape Act» oder «From A to B via C» widmen sich der «Produktion von Begehren». Auf diesem Gebiet sind Luxusbrands führend. Was sind Ihre Gedanken dazu?

Ob Louboutin-High-Heels oder Evening-Latex-Dress, ob Sauna-Suit, Digital Printed Muscle-Leotard, Black-Yellow Zebra Printed Plastic Pencil-Skirt oder Normcore-Jeans – ausschlaggebend ist für mich die Kommodifizierung des Körpers und die Konstruktion des Verlangens. Durch die verschiedenen mediatisierten Wege und Plattformen der Repräsentation des Körpers heutzutage wird es schwierig, nach dem Ursprung vom Begehren der Körperlichkeit zu fragen. Der Körper mutiert zu einer Projektionsfläche und wird seinem Abbild überführt, oder das Abbild wird dem Körper zum Verhängnis. Diese Umkehrfunktion von Ursache und Wirkung verliert sich irgendwo in den vielen Übersetzungsmodi der Bildkonstruktion und wird zu einer Repräsentationsstrategie unserer Zeit. Die Effizienz der erotischen Versprechungen der Luxusbrands bestimmt die Wahrnehmung unserer Körper. Die Autoerotik und fetischistische Anlage der Oberflächen der Materialien dieser schwarzen Louboutin-Lack-High-Heels mit roter Sohle zum Beispiel mutieren auf der Bühne oder im Film zu einer Dimension von Objekt und entfernen sich somit von der einfachen Ankleidungsgarderobe. Sie fungieren in meiner Arbeit als Protagonisten.

Welches Gefühl gibt Ihnen das Performen? Wenn Sie auf der Bühne stehen und alle Augen auf Sie gerichtet sind?

Es ist immer wieder eine Mutprobe, sich selbst als Material zu benützen, was gleichzeitig auch eine unbeschränkte Freiheit bedeutet.

Dem theoretischem Überbau von Alexandra Bachzetsis ist nicht ohne eine gewisse intellektuelle Anstrengung zu folgen. Präzision und Kontrolle, auch im Wort, sind ihr wichtig. Auf der Bühne aber, wenn sie jede Faser ihres durchtrainierten Körpers, jede Bewegung ihrer (Mit-)Performer choreografiert, jede mimische Veränderung ihres schmalen Gesichts steuert, genügt ihre schiere Präsenz, um uns zu fesseln. Wir schauen hin, wir gewinnen laufend Einsicht in Mechanismen, die uns vorher nicht bewusst waren. Und wenn wir aus einem Stück in die Welt zurücktreten, sehen wir plötzlich schärfer. Denn was Alexandra Bachzetsis macht, ist Gesellschaftsanalyse. Getanzt.

Info:

Alexandra Bachzetsis, «2020:Obscene», Kunsthaus Zürich. Ausstellung: 25. März bis 1. Mai 2022. Performances: 1. und 2. April.

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