Schlicht poetisch

Visionäre Architektur von Kazuo Shinohara

Vitra erweitert die Palette bedeutender Bauten auf seinem Campus. Der jüngste Neuzugang: das Umbrella House von Kazuo Shinohara.

Das Umbrella House von Architekt Kazuo Shinohara.

In seiner Heimat Japan gehörte Kazuo Shinohara (1925-2006) dank seinen avantgardistischen Wohnhäusern bereits zu Lebzeiten zu den einflussreichsten Architekten der Nachkriegszeit. In Europa hingegen wurde ihm diese Anerkennung erst im Jahr 2010 zuteil, als ihm posthum an der Architekturbiennale in Venedig der Goldene Löwe für sein Lebenswerk verliehen wurde.

Möglich, dass seine Kunst der Verschmelzung von Abstraktion und Tradition, die ihm in Japan Bedeutung und Einfluss bescherte, von anderen Kulturkreisen gar nicht wahrgenommen werden konnte. Für das Umbrella House etwa, eines seiner bekanntesten Bauwerke, entwarf Shinohara eine pyramidenförmige Dachstruktur, die bis dahin nur bei der traditionellen japanischen Tempelarchitektur zu finden war – in den Augen vieler ein Tabubruch.

Auch für deren formale Gestaltung pflegte er gleichzeitig die Einfachheit wie auch den Dialog mit dem architektonischen Erbe von Japan. Vorlage war ihm die geometrische Struktur eines Karakasa, eines japanischen Regenschirms aus geöltem Papier. So brachte Shinohara nicht nur ein ungewohnt kunstvolles Element in den schlichten Raum, er erzeugte mit der durch die Dachstruktur entstehenden Raumhöhe von vier Metern zusätzlich einen Effekt, der das gerade mal 55 Quadratmeter kleine Haus grösser erscheinen lässt. Ein kluger Schachzug – und ein Überraschungsmoment, der seinem Werk eine poetische Qualität verleiht.

Gründe genug für den japanischen Architekturdiskurs der 1960er-Jahre, das Umbrella House als neuartig und anregend einzustufen. Eine Reihe von theoretischen Schriften, die Shinohara als Professor am Tokyo Institute of Technology verfasste, stützten seinen wachsenden Einfluss auf die Entwicklung der Architektur hin zu einem modernen Japan und führten zu Gastprofessuren an der Universität Yale und der Technischen Universität Wien.

«Meine feste Überzeugung, dass ‹ein Haus ein Kunstwerk ist›, entstand aus der Auseinandersetzung mit diesem kleinen Haus.» – Kazuo Shinohara (1925-2006), Architekt

Dass das Meisterwerk von Shinohara nun einer Strasse hätte weichen müssen – es sollte an seinem bisherigen Standort in Tokio aufgrund eines geplanten Bauprojektes abgerissen werden –, wollte Vitra nicht zulassen. Und entschied sich, das 1961 errichtete Umbrella House zu übernehmen, um es für die Nachwelt zu erhalten. Sorgfältig wurde es in seine Einzelteile zerlegt – was die Konstruktion problemlos zuliess, da Shinohara darauf geachtet hatte, einfache und kostengünstige Materialien zu verwenden, wie sie aus der Fertigbauweise bekannt sind.

Seit diesem Sommer steht das Umbrella House nun auf dem Vitra Campus. Wieder in Verbindung mit starker japanischer Präsenz – Bauten von Tadao Ando, Sanaa und bald auch Tsuyoshi Tane.

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