Die CEO der Design Miami im Interview

On The Road

Jen Roberts leitet als CEO die wichtigste Desginmesse weltweit. Nach einer erfolgreichen Show in Paris wird die 20. Ausgabe der Design Miami Anfang Dezember in Miami Beach eröffnet.

Jen Roberts

Das petrolfarbene mächtige Holztor bleibt für gewöhnlich geschlossen, und wegen der vier Meter hohen Sandsteinmauern können Passanten in der Rue de l’Université in Paris kaum je einen Blick von der Pracht dahinter erhaschen. Umso grösser waren die Menschentrauben, die sich vom 15. bis 20. Oktober vor dem klassizistischen Eingangsportal bildeten. Die Design Miami hatte zur zweiten Pariser Ausgabe eingeladen und bot Besuchern nicht nur eine kuratierte Präsentation der wichtigsten Designgalerien diesseits und jenseits des Atlantiks, die Messe für Vintage- und Collectible Design öffnete auch die Türen zum Hôtel de Maisons, einem Prachtbau aus dem 18. Jahrhundert, ein Mini-Versailles mitten in der Stadt. In seinem verborgenen Garten trafen wir, umgeben von Skulpturen, Keramikarbeiten und einem Modulhaus von Jean Prouvé, die Organisatorin Jen Roberts. Sie erzählte uns über den besonderen Ort der Ausstellung, ihre Highlights und warum es beim Sammeln von Design anders als in der Kunst selten um Spekulation geht. Paris war nach Los Angeles und Basel die dritte Station in diesem Jahr. Vom 3. bis 8. Dezember kehrt die Design Miami an ihren Gründungsort zurück.

BOLERO Was für eine einmalige Kulisse!

JEN ROBERTS Oh ja. Das Haus wurde 1707 für den Marquis de Maisons gebaut. Man kennt es aber auch unter dem Namen Hôtel Pozzo di Borgo. Die korsische Familie lebte ab 1836 hier. Der Film «Ziemlich beste Freunde» verfilmte erst vor ein paar Jahren die Lebensgeschichte von Philippe Pozzo di Borgo, einem Nachfahren. 2010 wurde das Anwesen verkauft und in den letzten zehn Jahren renoviert. Als wir 2023 zum ersten Mal mit unserer Messe hierherkamen, waren die heutigen Besitzer schon etwas nervös wegen «dieser verrückten Amerikaner». Aber man hat uns von Anfang an unglaublich grosszügig und gastfreundlich aufgenommen.

Wie unterscheidet sich diese Messe von Ihren anderen Veranstaltungen?

Wir sind hier nicht in einer Halle mit Ständen und Stellwänden. Es geht vielmehr um die Atmosphäre und die Architektur des Hauses. Die hier ausgestellten Designobjekte stehen entweder im Kontrast oder bilden eine Ergänzung zu den fantastischen historischen Räumen. Jede Galerie denkt intensiv darüber nach, wie sie sich präsentieren möchte. Das ist eine besondere Herausforderung.

Auch Karl Lagerfeld erlag einst dem Charme dieses Ortes.

Ja. Er lebte in den 1990er-Jahren in zwei verschiedenen Apartments im ersten Stock. Er brachte viele Leute aus der Modewelt hierher. Der britische Autor William Middleton hat gerade ein Buch über ihn veröffentlicht, in dem er einige Szenen, die sich im Haus abgespielt haben, beschreibt. Middleton wird zusammen mit Laurence Delamare von Chanel und Clémence Krzentowski von der Galerie Kreo an einem Design-Talk teilnehmen.

Diese Talks gehören zu Ihrem Rahmenprogramm. Welche Themen sprechen Sie an?

Wir suchen immer den Bezug zur aktuellen Ausstellung. Es gibt noch ein zweites Gespräch über das Werk des französischen Architekten Jean Prouvé, der von 1901 bis 1984 lebte. Seine Tochter Catherine Prouvé und der Galerist François Laffanour, Gründer der Galerie Downtown und heutiger Besitzer des über siebzig Jahre alten Modulhauses, werden mit dabei sein.

Konnten Sie den Aufbau des Hauses aus vorgefertigten Teilen mitverfolgen?

Es war schon fertig, als ich in Paris ankam, aber man braucht etwa einen Tag, um so eine Struktur aufzubauen. Sie ist komplett zerlegbar, genauso wie manche der Möbel, die Prouvé entwarf.

Die Objekte um uns herum sind Teil von «Design at Large». Was ist die Idee dahinter?

Dieses Ausstellungsformat gibt uns die Möglichkeit, ausgewählte grosse Stücke im Garten und im Hof zu zeigen. So etwa die Schafe von Claude und François-Xavier Lalanne, die auf der Wiese stehen, oder die drei Skulpturen «Les Trois Grâces» von Jean Touret. Die bemalte Keramikvase stammt vom jungen iranischen Designer Roham Shamekh, der in Dubai lebt. Er wird im Dezember auch in Miami mit einem «Curio»-Projekt vertreten sein.

Am Eröffnungstag waren Haus und Garten voll. Wissen Sie schon, wie viele Besucher Sie hatten?

Etwa 4000, viermal mehr als 2023.

Im Haus zeigen 24 Galerien ein Best-of ihres Programms. Welches sind Ihre persönlichen Highlights?

Die Lampen des finnischen Designers Paavo Tynell bei der Galerie Eric Philippe oder die fabelhaften Mid-Century-Möbel der niederländischen Galerie Morentz. Eines meiner Lieblingszimmer ist jenes der Galerie Downtown mit einem Esstisch und einer Bank des brasilianischen Designers José Zanine Caldas – Entwürfe, die voluminös und zugleich elegant sind. Ich liebe auch die japanischen Körbe bei Thomsen Gallery. Wirklich beeindruckend aber sind die Lalanne-Möbel der Galerie Mitterrand: ein ovaler Esstisch samt passenden Stühlen, ein Teppich mit dem ikonischen Schafmotiv und ein Rhinozeros-Paravent. Alles Stücke aus den 1970er-Jahren. Dafür hat die Galerie die Auszeichnung für die beste historische Präsentation erhalten.

Salon 94 zeigt eine Hommage an den im Frühling verstorbenen Gaetano Pesce.

Die Galerie hat eine Reihe von Sesseln neu produziert, die der italienische Architekt kurz vor seinem Tod entworfen hat. Jeanne Greenberg Rohatyn, die Gründerin, hat damit etwas ganz Besonderes geschaffen. Gaetano Pesce, der in New York lebte, stand unserer Messe nämlich sehr nah. Er hat in den letzten Jahren viele Ausstellungen mit uns realisiert.

Manche Designer geraten irgendwann in Vergessenheit. Dann tauchen ihre Entwürfe viele Jahre später wieder in Galerien oder Auktionen auf. Welcher Mechanismus treibt den Markt für Vintage-Design an?

Manchmal gibt es Zeiten, in denen ein Designer sehr begehrt ist und später vielleicht weniger. Zum Beispiel waren Möbel von Gustav Stickley in den USA mal sehr teuer, genauso wie in Europa die der Wiener Secession. Momentan sind Jean Prouvé und einige andere Designer des Mid-Century an der Spitze des Marktes. Ich glaube nicht, dass es Spekulation ist, wie man dies oft auf dem Kunstmarkt beobachten kann. Ich glaube, es ist eher wie in der Mode vom Zeitgeschmack abhängig. Plötzlich sehen die Sammler, dass die Menge begrenzt ist, und die Nachfrage steigt. Hier leisten die Galerien eine unglaubliche Arbeit, indem sie mit ihrem Fachwissen recherchieren, ein Archiv zusammentragen und die Objekte so präsentieren, dass man damit leben möchte. Dann verstehen ihre Kunden, dass sie ein Stück Geschichte kaufen.

Sie haben gerade vom Unterschied zwischen Kunst und Design gesprochen. Könnten Sie das noch weiter ausführen?

Nun ja, wir haben in den letzten Jahren auf Auktionen vereinzelt auch beim Design verrückte Preise gesehen, aber nicht so exorbitant wie in der zeitgenössischen Kunst. Zum einen sind in der Designwelt weniger Sammler unterwegs. Zum anderen glaube ich nicht, dass man sich ein Möbelstück kauft, um es in ein Lager zu stellen und später wieder zu verkaufen. Ich meine, man kauft Design, weil man sich verliebt hat und damit leben möchte. Vielleicht schätzt man den bleibenden Wert, aber es geht nicht um die Rendite.

Sind Sie selbst Sammlerin?

Es gibt da eine schöne Geschichte. Meine Eltern haben vor vielen Jahren zwei alte Elda-Sessel von Joe Colombo, mit denen ich aufgewachsen bin, in den Sperrmüll geworfen. Da war ich ihnen richtig böse. Als ich dann zur Design Miami kam, habe ich mir gesagt: «Ich muss einen dieser Sessel wiederfinden und kaufen.» Heute steht er in meinem Wohnzimmer. Ich habe auch einen Stuhl von Gaetano Pesce und viele andere Stücke, die ich zum Teil auch auf dem Flohmarkt gefunden habe.

Lassen Sie uns über die Anfänge sprechen. Die Design Miami wurde 2005 von Craig Robins und Ambra Medda gegründet.

Alles begann eigentlich schon viel früher, nämlich im Jahr 2000. Damals wollte der Immobilienentwickler Craig Robins, der auch ein wichtiger Kunst- und Designsammler ist, die Art Basel nach Miami holen. Also flog er in die Schweiz zu Sam Keller, dem damaligen Direktor, und sprach mit ihm. Craig schlug vor, auch das Design miteinzubeziehen, aber der Ausstellerbeirat sprach sich dagegen aus. Man wollte Kunst und Design nicht vermischen. Da sagte Sam zu Craig: «Wenn du etwas mit Design machen willst, dann werden wir dich darin unterstützen.» Anfang Dezember 2002 fand dann die Art Basel zum ersten Mal in Miami Beach statt. 2005 kam die Design Miami dazu, und sechs Monate später war Ambra Medda mit unserer ersten Messe in Basel. Die MCH Group, die Muttergesellschaft der Art Basel, ist bis heute an der Design Miami beteiligt.

Letztes Jahr wurde die Mehrheit jedoch verkauft. An wen?

Im Oktober 2023 hat uns Basic.Space übernommen, ein junger, digitaler Marktplatz für Mode, Design und Kunst mit Sitz in Los Angeles. Sein Gründer Jesse Lee ist jetzt unser Verwaltungsratspräsident. Er weiss, wie man die Generation Z und die Millennials anspricht. Mit uns hat er nun das Luxussegment mit an Bord und kann eine andere Zielgruppe erreichen. Wir wollen dabei helfen, dass der Designmarkt in die richtige Richtung geht und wachsen kann. Zuvor hatten wir weder die Ressourcen noch die Reichweite oder das digitale Know-how.

Diesen Mai haben Sie zum ersten Mal in Los Angeles eine Show veranstaltet. Wie war die Resonanz?

Wir konnten in einem Haus von Paul Revere Williams aus den 1930er-Jahren ausstellen. Er war einer der ersten bekannten schwarzen Architekten von Los Angeles. Zuletzt wohnte dort Max Azria, Gründer der Modemarke BCBG. Zu dem drei Hektar grossen Anwesen gehören ein Theater, ein Büro, ein Pool mit Poolhaus, ein japanischer Garten und ein Tennisplatz. Die Veranstaltung war nur auf Einladung für 5000 Besucher an fünf Tagen. Viele kamen mehrmals, sassen auf der Wiese im Park, tauschten Ideen aus und hörten sich die Vorträge an. Es war ein junges Publikum, und es war lokal. Es wird immer wichtiger, dass wir mit unseren Messen die regionale Identität einfangen und die Gemeinschaft vor Ort ansprechen. Es gibt keinen Grund mehr, zu reisen, wenn man überall das Gleiche sieht.

Planen Sie weitere Standorte? Die Art Basel hat ja einen wichtigen Ableger in Hongkong.

Ich glaube nicht, dass Hongkong im Moment der richtige Ort für uns ist. Es gibt andere Regionen, die mehr auf Design ausgerichtet sind. Dazu gehören Südostasien und Indien, vor allem, weil es dort eine lange Handwerkstradition gibt.

Wie wählen Sie die Galerien für Ihre Messen aus?

Wir haben ein eigenes Team, und wir konsultieren unseren Beirat, der sich aus einer Reihe von langjährigen Ausstellern zusammensetzt. An den Messen gibt es dann noch ein Prüfungskomitee, das sich jedes einzelne Stück in der Ausstellung genau anschaut, um sicherzustellen, dass es authentisch ist und entsprechend präsentiert wird.

Seit den Herbstmessen in New York und London hat der Kunstmarkt Angst vor der schlechten Wirtschaftslage. Was erwarten Sie für die kommenden Monate?

Wir hatten bereits sehr gute Verkäufe, daher mache ich mir keine Sorgen. Aber ich denke, es hängt schon damit zusammen, dass es viele Leute gab, die mit Kunst spekuliert haben. Jeder dachte, der Kunstmarkt bietet grosse Chancen, und die Leute begannen, zu kaufen. Das hat die Preise immer weiter nach oben getrieben. Jetzt steigen die Spekulanten aus, und es kommt zu einer Korrektur.

Haben Sie eine Empfehlung für jemanden, der mit dem Aufbau einer Designsammlung beginnen möchte?

Kaufen Sie nur, was Sie wirklich mögen. Kaufen Sie Dinge, die eine Bedeutung für Sie haben. Kaufen sie nicht wegen des Preises. Kaufen Sie, weil Sie sich angesprochen fühlen, und hoffen Sie, dass Ihnen das Erworbene lange Zeit Freude macht. Ich glaube fest dran, dass man sich besser fühlt, wenn man in einer schönen Umgebung wohnt. Das färbt auch auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen ab.

Anfang Dezember öffnet die Design Miami. Worauf dürfen sich die Besucher freuen?

Miami ist unser Höhepunkt am Ende des Jahres. Wir werden über 70 Aussteller und Projekte haben. Mit etwa 35 000 Eintritten ist die Messe auch unsere grösste Veranstaltung. Der nord- und der südamerikanische Markt sind hier traditionell viel stärker vertreten, und es gibt eine Fülle an Stilen, Formen, Farben und Materialien.

Die Show steht unter dem Motto «Blue Sky».

Unser Chefkurator Glenn Adamson möchte unseren Blick nach oben lenken und der Imagination und dem Optimismus freien Lauf lassen. Er schliesst damit an die vorherigen Editionen an, wo die Elemente Erde und Wasser im Mittelpunkt standen. Ein weiteres Projekt ist das Curatorial Lab, mit dem wir temporäre oder permanente Installationen initiieren. Wir arbeiten jedes Jahr mit dem Miami Design District zusammen und lancieren einen Wettbewerb. So können wir Designern und Architekten eine Chance geben und auch eine andere Art von Beziehung aufbauen. Wir verstehen uns als ein Ökosystem, das gutes Design einem breiteren Kreis von Menschen zugänglich machen möchte.

Abgesehen von der Messe im Convention Center – was sind Ihre Lieblingsorte in Miami?

Natürlich bin ich oft im Design District. Dort leistet man fabelhafte Arbeit zur Aktivierung des Viertels und stellt jedes Jahr neue architektonische Projekte vor. Es gibt tolle Restaurants, zum Beispiel das «Elastika», das zu «The Moore», einem Hotel und Member-Club, gehört. Oder ich gehe zum Mia Market, einer Food-Hall. Dort gibt es das beste Sushi der Stadt. Toll ist auch das «Mandolin», ein kleines griechisches Restaurant. In Miami Beach sollte man neben der Messe unbedingt The Wolfsonian, ein Kunstgewerbe- und Designmuseum in einem beeindruckenden Art-déco-Gebäude, besuchen. Und danach Padel-Tennis! Es gibt mehrere Plätze in der Stadt, wo man Schläger ausleihen und Stunden nehmen kann. Ich selbst spiele regelmässig.

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