Im Zen-Kloster in Indien

Ayurveda am See

Wenn es Zeit für einen Reset ist, taucht man am besten ab. Zum Beispiel dort, wo indisches Heilwissen in seiner reinsten Form praktiziert wird.

Ayurveda am See

Ayurvedakuren machte ich schon mehrere, aber von diesem Ort träume ich seit Jahren: Er liegt in Südkerala und ist im Grunde ein strenges Zen-Kloster. Es gelten Schweigezeiten. Einlass findet nur, wer mindestens zwei Wochen bleibt und sich den Regeln unterwirft. Dann aber blüht ihm eine Kur vom Feinsten.

Für mich beginnt sie schon im Taxi. Mein Sitz ist mit weissen Kissen und Handtüchern ausgestattet. Die Thermoskanne ziert eine Manschette, ebenfalls weiss. Bevor ich in die Kissen sinke, schenke ich mir Wasser ein. Es ist kochend heiss. Als wir durchs bewachte Tor des Resorts fahren, steht das Empfangskomitee mit frischen Blüten und Räucherwerk bereit: «Namaskaram, Ma’am.» Trotz Reiseübelkeit bemühe ich mich, mit Haltung auszusteigen und dabei die Hände zum indischen Gruss zusammenzubringen. Dabei fällt meine offene Tasche kopfüber mit Getöse auf den Boden. Ich will nur noch in meinen Bungalow. Er liegt direkt am See, ist schlicht möbliert und hat ein zweites Badezimmer im Grünen. So schnell habe ich noch nie ausgepackt. Bis auf ein bisschen Wäsche und Bücher ist mein Koffer leer. Das war mit ein Hauptgrund, wieso ich hierher wollte: Kleider, Tuben und Tiegel packen ist mir ein Gräuel. Drei neue, weisse Tunika-Blusen mit gerade geschnittenen Hosen liegen für mich parat.

Gleich findet der Arzttermin statt. Sreelal Sankar, ein Mitvierziger mit sanften Augen, spricht so schnell Englisch wie Malayalam. Er will haargenau wissen, wie es in mir aussieht und was ich mir erhoffe. «Ich will gut schlafen können», sage ich. «Wir machen eine leichte Panchakarma-Kur», entscheidet er nach dem langen Gespräch. Ich sei zu angespannt, das sehe er nur schon an meiner Halsschlagader. Panchakarma ist die Königstherapie im Ayurveda. Ihr Ziel ist die Entgiftung. Sie geschieht über fünf Massnahmen: Abführen, Öl- oder Kräutereinläufe, Reinigung durch die Nase, therapeutisches Erbrechen und Blutreinigung durch Blutegel. Letztere werden selten eingesetzt. Da bin ich froh. Ich liebe Tiere, aber ich will nicht, dass sie mich aussaugen. Zur Therapie gehören auch Ölgüsse und -massagen, die auf meine Tagesverfassung abgestimmt sind. Dazu strikte Ruhe. Nichts darf das fragile Gleichgewicht während der Kur stören.

Aber erst mal richtig ankommen! Ich flaniere durch die sattgrüne Anlage. Sie befindet sich im Herzen der Backwaters. In ihr wachsen hohe Kokospalmen und duftende Frangipanibäume. Weiss gekleidete Angestellte, die meinen Weg kreuzen, lächeln mich an. Ich bin in einem tropischen Utopia gelandet. Es ist Zeit fürs Dinner. Im Pavillon bekomme ich eines der Holzpültchen zugewiesen. Sie sind in Reihen angeordnet wie in einer indischen Schule der Kolonialzeit. Nur, dass mein Blick nicht auf den Lehrer vorne fällt, sondern auf den mangrovengesäumten Paravur-See. Plaudern ist verboten. Man soll sich aufs Essen konzentrieren. Es ist kleingeschnippelt und in winzigen Schälchen kunstvoll angerichtet. Daneben liegt ein goldfarbenes Löffelchen. Ob die Kinder der Maharadschas so assen? Es schmeckt köstlich und mild. Alles ist vegetarisch, aus dem Hausgarten und eigens für mich zubereitet. Das mit Gewürzen parfümierte Chutney aus frisch geriebener Kokosnuss ist ein Gedicht. Ich lasse mir meine Henkersmahlzeit auf der Zunge zergehen. Morgen gilt es ernst.

Nach der Frühkonsultation überreicht mir der Doktor ein Glas Ghee, mein Frühstück für die nächsten drei Tage. Die geklärte Butter schmeckt tranig. Rasch beisse ich in ein Stück Zitrone und spüle mit heissem Wasser nach. Das Ghee lässt die enthaltenen Heilkräuter ins Nervensystem fliessen und sammelt alle Schlacken ein. In den kommenden Tagen ist meine innere Müllabfuhr am Werk. Ich fühle mich bleiern und habe Kopfweh. Ich will nur auf der Veranda liegen und ins Wasser schauen. Wenn es regnet, ist die Stimmung magisch: Das Grün des Grases scheint zu vibrieren. Ich kann mich am Prasseln des Regens, das sich mit dem Piupiupiu der Vögel vermischt, nicht satthören. Morgens schaffe ich es kaum ins Yoga. Die einfachen Übungen, über die ich am ersten Tag die Nase rümpfte, bringen mich ans Limit. Mein alter Knieschmerz meldet sich, ich schlafe schlechter denn je und denke, was ich daheim alles tun müsste. «Am dritten Tag attackiert das Ghee das Gehirn», sagt Sreelal Sankar. «Sie werden sich fragen, wieso Sie gekommen sind.» Mein Körper spüre jetzt, dass er loslassen kann, und genau in dieser Ruhe regeneriere er. Die volle Wirkung der Kur zeige sich aber erst, wenn ich wieder daheim sei. Ich dürfe meinen Gedanken kein Gewicht geben. Am vierten Tag schaudert es mich, wenn ich an Butter denke. Genug Ghee, beschliesst der Doktor. Jetzt gibts für zwei Tage nur Reissuppe, um Verdauungsenergie zu sparen. Die wird jetzt für den Abtransport der Giftstoffe in den Magen gebraucht. Die letzte Hürde ist der Entgiftungstag. Er beginnt mit einem süssen, scharfen Abführtrank aus gemahlenen Kräutern. Für die kommenden Stunden gilt Hausarrest. Am Nachmittag haben die Kräuter ihr Werk vollbracht.

Am nächsten Morgen bin ich mit jeder Zelle ein neuer Mensch! Ich schlendere in der Dämmerung zur Yogaterrasse. Die Luft riecht nach frischer Erde und trägt den Gesang aus dem nahe gelegenen Tempel heran. Mein Körper ist leicht, kraftvoll, mein Geist kristallklar. In der Meditation bringe ich es nicht übers Herz, die Augen zu schliessen. So wunderbar sind die Farben des erwachenden Tages! Endlich komme ich in den vollen Genuss des Essens, das mir die Ernährungsärztin täglich zusammenstellt. Ich bin verblüfft, wie gekonnt sie meine Befindlichkeit mit Speisen, Kräutern und Gewürzen steuert. Und wie die Behandlungen meine Haut nicht nur polieren, sondern den Körper ins Lot bringen. Sie beginnen immer damit, dass ich mich auf den Hocker setze und die Therapeutin mir den Kopf, den Nacken und den Rücken kräftig bearbeitet. Dann klettere ich auf die Holzliege, wo vier Hände mich synchron massieren. Ich bin innerlich voll dabei. Manchmal sage ich: «More gentle, please!» Das warme Ölrinnsal fliesst von beiden Seiten unaufhörlich auf mich herab. In mir breitet sich eine so wohltuende Stille aus, als sei ich auf dem Meeresgrund.

Fazit: Ich habe drei Wochen mit drei Tenues und ohne die üblichen Utensilien überlebt. Ich habe nicht das Geringste vermisst. Ich habe mich erinnert, dass das Glück in den kleinen Dingen liegt. Im Anblick des Tausendfüsslers, der durch mein Zimmer spaziert. In einer tauglitzernden Frangipaniblüte. Ich will weiterhin mit leichtem Gepäck durchs Leben reisen.

Klinik: Das «Kalari Rasayana» liegt im Süden von Kerala an einem Backwatersee. Das Resort hat 22 Zimmer, alle sind zum See ausgerichtet. Mehr Infos findest du hier.

Preis: 14 Tage circa 6400 Franken, inklusive Behandlungen, täglicher Arztkonsultation, Unterkunft, Essen, Yoga, Kleidersets.

Anreise: Mit Emirates oder Etihad Airways ab Zürich nach Thiruvananthapuram. Der Transfer vom Flughafen zum Resort dauert ungefähr 90 Minuten.

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