Ankunft im Paradies
Gleich findet der Arzttermin statt. Sreelal Sankar, ein Mitvierziger mit sanften Augen, spricht so schnell Englisch wie Malayalam. Er will haargenau wissen, wie es in mir aussieht und was ich mir erhoffe. «Ich will gut schlafen können», sage ich. «Wir machen eine leichte Panchakarma-Kur», entscheidet er nach dem langen Gespräch. Ich sei zu angespannt, das sehe er nur schon an meiner Halsschlagader. Panchakarma ist die Königstherapie im Ayurveda. Ihr Ziel ist die Entgiftung. Sie geschieht über fünf Massnahmen: Abführen, Öl- oder Kräutereinläufe, Reinigung durch die Nase, therapeutisches Erbrechen und Blutreinigung durch Blutegel. Letztere werden selten eingesetzt. Da bin ich froh. Ich liebe Tiere, aber ich will nicht, dass sie mich aussaugen. Zur Therapie gehören auch Ölgüsse und -massagen, die auf meine Tagesverfassung abgestimmt sind. Dazu strikte Ruhe. Nichts darf das fragile Gleichgewicht während der Kur stören.
Aber erst mal richtig ankommen! Ich flaniere durch die sattgrüne Anlage. Sie befindet sich im Herzen der Backwaters. In ihr wachsen hohe Kokospalmen und duftende Frangipanibäume. Weiss gekleidete Angestellte, die meinen Weg kreuzen, lächeln mich an. Ich bin in einem tropischen Utopia gelandet. Es ist Zeit fürs Dinner. Im Pavillon bekomme ich eines der Holzpültchen zugewiesen. Sie sind in Reihen angeordnet wie in einer indischen Schule der Kolonialzeit. Nur, dass mein Blick nicht auf den Lehrer vorne fällt, sondern auf den mangrovengesäumten Paravur-See. Plaudern ist verboten. Man soll sich aufs Essen konzentrieren. Es ist kleingeschnippelt und in winzigen Schälchen kunstvoll angerichtet. Daneben liegt ein goldfarbenes Löffelchen. Ob die Kinder der Maharadschas so assen? Es schmeckt köstlich und mild. Alles ist vegetarisch, aus dem Hausgarten und eigens für mich zubereitet. Das mit Gewürzen parfümierte Chutney aus frisch geriebener Kokosnuss ist ein Gedicht. Ich lasse mir meine Henkersmahlzeit auf der Zunge zergehen. Morgen gilt es ernst.
Das grosse Reinemachen
Nach der Frühkonsultation überreicht mir der Doktor ein Glas Ghee, mein Frühstück für die nächsten drei Tage. Die geklärte Butter schmeckt tranig. Rasch beisse ich in ein Stück Zitrone und spüle mit heissem Wasser nach. Das Ghee lässt die enthaltenen Heilkräuter ins Nervensystem fliessen und sammelt alle Schlacken ein. In den kommenden Tagen ist meine innere Müllabfuhr am Werk. Ich fühle mich bleiern und habe Kopfweh. Ich will nur auf der Veranda liegen und ins Wasser schauen. Wenn es regnet, ist die Stimmung magisch: Das Grün des Grases scheint zu vibrieren. Ich kann mich am Prasseln des Regens, das sich mit dem Piupiupiu der Vögel vermischt, nicht satthören. Morgens schaffe ich es kaum ins Yoga. Die einfachen Übungen, über die ich am ersten Tag die Nase rümpfte, bringen mich ans Limit. Mein alter Knieschmerz meldet sich, ich schlafe schlechter denn je und denke, was ich daheim alles tun müsste. «Am dritten Tag attackiert das Ghee das Gehirn», sagt Sreelal Sankar. «Sie werden sich fragen, wieso Sie gekommen sind.» Mein Körper spüre jetzt, dass er loslassen kann, und genau in dieser Ruhe regeneriere er. Die volle Wirkung der Kur zeige sich aber erst, wenn ich wieder daheim sei. Ich dürfe meinen Gedanken kein Gewicht geben. Am vierten Tag schaudert es mich, wenn ich an Butter denke. Genug Ghee, beschliesst der Doktor. Jetzt gibts für zwei Tage nur Reissuppe, um Verdauungsenergie zu sparen. Die wird jetzt für den Abtransport der Giftstoffe in den Magen gebraucht. Die letzte Hürde ist der Entgiftungstag. Er beginnt mit einem süssen, scharfen Abführtrank aus gemahlenen Kräutern. Für die kommenden Stunden gilt Hausarrest. Am Nachmittag haben die Kräuter ihr Werk vollbracht.